Wolfgang Martin Stroh (Oldenburg)
Das Oldenburger TechnoMuseum und die Methode des künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhabens"
1. Was ist das Oldenburger TechnoMuseum?
Seit 1978 veranstalte ich regelmäßig Übungen, in denen in die Handhabung analoger Synthesizer eingeführt wird. Aus Gründen der Motivation und Aktualisierung des zunehmend antiquierten Stoffes habe ich Ende der 80er Jahre begeonnen, analoge Synthesizer über Midi-to-CV-Converter auch von Computern aus anzusteuern und so die analogen Instrumente in einen Groove" einzubinden. Nachdem im Lauf der 90er Jahre die experimentelle Techno-Szene dies Verfahren einzusetzen begann, lag die Idee nahe, ein Synthesizerorchester zu gründen, das ausschließlich analoge Instrumente verwendet, diese aber alle punktgenau durch einen Computer synchronisiert sind. Die hierbei entstehende Musik war so vital, daß sich aus den Uni-Kursen schnell kleine und größere Rave-Parties ergaben. So entstand das Oldenburger TechnoMuseum.
TECHNIK (siehe Anhang 1): Die
GrooveBox RaveOLution von Quasimidi erzeugt das Schlagzeug und den Baß. Ferner sendet sie
Midi-Sync-Signale an den Computer. |
MUSIK: Alle Synthi-SpielerInnen können ganz frei spielen oder sich an den Groove anklinken, wobei jeder Synthi ein eigenes (zuvor komponier-tes) Pattern bekommen kann. Die Klangkontrolle läuft wie bei jedem akustischen Zusammenspiel über das Ohr, es gibt kein zentrales Mischpult und keinen Mixer-King (à la Stock-hausen). Der Wechsel zwischen avantgardistisch-freier Klangimprovi-sation und striktem Techno ist flexibel handhabbar und vom jeweiligen Spielkonzept abhängig. Jeweils eine Person zeichnet für ein solches Kon-zept verantwortlich und leitet es auch mittels vorheriger Absprachen, ak-tuellen Gesten, Lichtzeichen oder durch Mausklick. |
2. Was ist ein künstlerisch-wissenschaftliches Forschungsvorhaben?
Stichworte zur Terminologie: 1974 Gründung von Musikhochschulen an Unis" und Bestrebungen von MHSn wissenschaftlicher zu werden (Promotionsrecht, Professuren mit Forschungsauftrag). Die Entstehung des Phänomens künstlerisch-wissenschaftliche Hochschulen und Studiengänge". Der Terminus künstlerisch-wissenschaftliches Forschungsvorhaben" entstand aus taktischer Analogiebildung.
Gegenstand eines künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhabens ist die musikalische Tätigkeit von Menschen oder Gruppen. Ein solches Vorhaben steht zwischen traditioneller Feldforschung und experimenteller Laborforschung. Es wird ein künstlerisches Experiment in einem Feld (d.h. in der Wirklichkeit" des Musikbetriebs) durchgeführt. Im Gegensatz zum Laborexperiment hat dies Experiment Ernstfallcharakter. Und im Gegensatz zur Fedlforschung wird das zu beforschende Feld (die musikalische Tätigkeit) durch das künstlerische Experiment verändert. Es wird untersucht, wie das Feld auf ungewöhnliche Bedingungen reagiert. Es wird nicht vesucht, den Alltag" zu erforschen.
Die jedem Experiment eigene Unschärferelation, derzufolge der Forscher den Forschungsgegenstand umso mehr verändert je exakter" seine Forschung ist, wird zum Forschungsprogramm gemacht. Der Forschungsgegenstand (die musikalische Tätigkeit) wird im Hinblick auf seine Veränderbarkeit und nicht statisch untersucht.
Ein künstlerisch-wissenschaftliches Forschungsvorhaben beginnt mit einer künstlerischen, pädagogischen oder politischen Idee und einem daraus entwickelten künstlerischen Anfangsprojekt. Die Forschungsfrage entwickelt sich erst während dieses Projekts. Im weiteren Verlauf wird das künstlerische Projekt zu einem Forschungsvorhaben.
Finanzierungsbeispiele: Kindercombo: bis zu 4 Lehrkräf-te (studentische Hilfskräfte) wur-den von den Eltern der Kinder bezahlt. Brain & Body: 36 Konzerte zu je durchschnittlich 1000 DM Honorar. Geld wurde für die Unkosten und die Investitionen in die interaktive Computertechnologie und die mi-difizierte Lichtanlage verwendet. MIDI-Planetarium: 77 Geburtsho-roskopvertonungen zu je 100 bis 800 DM. Wurde für den Ausbau des twiskenstudios oldenburg verwendet. "Erstes improvisierendes Streichorchester" finanziert sich aus Konzerten und Spenden (gemeinnütziger Verein). |
Das Vorhaben existiert nicht, weil irgend jemand die Forschungsfrage gut und unterstützenswert findet, sondern weil sich das künstlerische Projekt auf dem Musikmarkt und in der jeweiligen Szene durchsetzt. Daher gilt ein künstlerisch-wissenschaftliches Forschungsvorhaben bei traditionellen Geldgebern (DFG, Volkswagenstiftung etc.) und bei Traditionsverbänden (DGMPsy, Gesellschaft für Musikforschung) als unseriös. Dies umso mehr, als die über die üblichen universtären Ressourcen hinausgehenden Forschungsmittel" in aller Regel aus den Einnahmen des künstlerischen Projekts bestehen.
Enstanden ist die Methode des künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhabens in Anlehnung an Hartmut von Hentigs Forschungsansatz, wie er sich in den Schulprojekten der Universität Bielefeld verwirklichte. 1973-1978 war ich dort Lehrer und Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Curriculumentwickler, Erprober und Evaluator.
Bilang habe ich 7 künstlerisch-wissenschaftliche Forschungsvorhaben durchgeführt, 3 sind abgeschlossen, über weitere zwei ist weitgehend abschließend" berichtet worden, drei Vorhaben sind noch am Laufen. Die Tabelle in Anhang 2 gibt einen Eindruck von Idee/Projektanfang/Forschungsfrage und -ergebnis dieser Vorhaben.
Ohne explizite Absichten sind alle Projekte irgendwo zwischen Popmusik und Avantgarde angesiedelt. Die meisten thematisieren ein Popmusik-Phänomen und betreiben das Experiment" dann nach den Gepflogenheiten der Avantgarde. Es ist ein Grundzug aller Vorhaben, daß der Forschungscharakter des künstlerischen Settings einhergeht mit dem experimentellen und somit dem eher avantgardistischen Charakter des musikalischen Teils. Alle Vorhaben zeigen, daß und wie ein Phänomen der Popmusik künstlerisch radikalisiert und dadurch an die Grenzen von Popularität" getrieben werden kann. Das Publikum aller künstlerischen Events (es sind 233 seit Dezember 1978), die im Zusammenhang der Projekte stattfanden, kann aus dem populären und dem kunstmusikalischen Bereich stammen, oft gehört es einer charakteristischen Teilkultur an, die keinem der Bereiche zuzuordnen ist (minmal music", Eso, Gruppenimprovisation/Free Jazz, Performancekunst etc.)
3. Das Oldenburger TechnoMuseum auf dem Weg zu einem künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhaben
Das Projekt TechnoMuseum befindet sich derzeit auf dem Wege zu einem künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhaben. Es läuft als hochschuldidaktisches Konzept und als öffentliches Event. Außer einer Dokumentation und einigen künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Projekt in Form von Videoclips und Filmen sowie dem Ansatz einer CD-Produktion gibt es noch keine Evaluations-Aktivitäten. Ich skizziere kurz, wie ich im jetzigen Stadium die Ansatzpunkte für Forschungsfragen sehe. Die Techno-Szene hat drei musikhistorisch relevante Merkmale:
(1) Die musikalische Aufwertung des Computers als Musikinstrument: Die Verwendung des Computers als Musikinstrument in Techno ist grundlegend verschieden von der alltäglichen Verwendung im Produktionsstudio oder zu Hause". Folgerung: die Entdeckung der musikalischen Eigenheit historischer (analoger") Instrumente. Dies beinhaltet eine produktive Kritik am Fortschritts-Fetischismus der Musikelektronikindustrie, demzufolge jedes neue Modell alle alten (vorigen) überholt".
(2) Das Scratch- und Sampling-Musizieren: Die Sampling- und Scratch-Musizierweise erwähne ich hier nur der Vollständigkeit halber, sie spielt im TechnoMuseum keine Rolle und gehört zur DJ- und Rave-Szene im weiteren Sinne, weniger zur harten Technoszene im Sinne elektronischer Musik".
(3) Eine charakteristische Interaktion zwischen Publikum und MusikerIn: Grundcharakteristikum sowohl der rein-elektronischen als auch der Scratch-Variante von Techno ist der technisch omnipotente Alleinunterhalter. Herkömmliches und für die Rockmusik charakteristisches Zusammenspiel in einer Gruppe ist ersetzt durch das ritualisierte Zusammenspiel" von DJ und Publikum. Die hierfür notwendige Kunstfertigkeit" und Sensibilität des DJs ist groß und wird von Verteidigern der Technoszene gerne hervorgehoben. Musterexemplare solcher DJs habe ich 1999 gleich auf drei Fachtagungen oder Fortbildungsveranstaltungen erlebt.
Die Polarisierung von Techno in Rave- und Elektronik-Szene wird einerseits durch populistische Live-Auftritte von Größen wie Westbam, van Dyk, Takky Ishino oder Spoon auf der Love-Parade aufgehoben, gleichzeitig aber durch eine Neo-Avantgarde vertieft. Letztere artikulierte sich im SPIEGEL dieser Woche:
Gipfeltreffen der Szene im Berliner Club SO36. Elektroniksalon nennt sich die Party, das Motto lautet The social dimension of isolation. Autistische laptop-Klänge sind nach 10 Jahren des Live-Musizierens eine logische Entwicklung... Getanzt werden soll nicht im Elektroniksalon, interessiertes Zuhören genügt. Eingeflogene (gesampelte) Herzschläge des Musikers und Atemgeräusche sind angenehmer als schweißtriefende Menschen auf der Tanzfläche (SPIEGEL 18/2000, S. 125). |
Das Oldenburger TechnoMuseum propagiert in diesem Kontext die Aufhebung von Polarisationstendenzen. Dies kann in folgenden Thesen zusammengefaßt werden:
Im TechnoMuseum
- kann eine Gruppe musizierend" eine Musik machen, die nicht hinter die historischen Errungenschaften von Techno zurückfällt;
- kann kommunikative Kreativität unter Beibehaltung des elektronischen und computerisierten Grooves verwirklicht werden;
- kann die Technoszene subkulturelle" Funktionen reaktivieren;
- können Rave-Parties einerseits zu interessanten Konzerten", andererseits zu kommunikativen musikalischen Gemeinschaftserlebnissen werden.
Angesichts solcher Thesen wäre die wissenschaftliche Aufgabe nicht nur die Verifizierung dieser Thesen, sondern auch die Beantwortung folgender Fragen:
- Wer reagiert wie auf das Konzept?
- Wer hat überhaupt Interesse an kommunikativer Kreativität" ?
- Wie geht das TechnoMuseum mit den Problemzonen der Technoszene wie Drogen, Freizeitbelastung, Lärmschwerhörigkeit, Regression, Entpolitisierung etc. um und welche psychischen Folgen hat dies gegebenenfalls?
- Kann das Konzept relevanten Freizeitwert haben, gegebenenfalls für die Sozialarbeit?
- Stellt das TechnoMuseum ein pädagogisch tragfähiges Konzept dar, etwa im Sinne meines Vorschlags für ein improvisierendes Synthesizer-Schulorchester"?
4. Folgerungen für die Methodendiskussion in der Popularmusikforschung
Das Konzept hat im Rahmen der Popularmusikforschung folgende besonderen Merkmale und Vorzüge:
- Es nimmt die Unschärferelation" - der Forscher zerstört das zu Erforschende, je genauer er hinsieht" - Ernst.
- Es hebt den Alters- und Rollenkonflikt der Popularmusikforschung weitgehend auf, indem es ihn nicht verschleiert oder verdrängt (Baacke-Syndrom").
- Es betreibt dennoch keine abgehobene und sinnlos-irrelevante Laborforschung.
- Es enthält wesentliche Züge experimenteller Forschung, setzt diese allerdings in wirkliches Leben" um und wird dadurch unsauber" (Trennung Forschungsobjekt und -subjekt ist nicht möglich; Evaluation erschwert etc.).
- Es ist innovativ, indem es nicht einen statischen Zustand eines Forschungsfelds (genauer: der musikalischen Tätigkeit von Menschen), sondern dessen Veränderbarkeit überprüft und erforscht.
- Es führt meist selbst (experimentelle) Veränderungen durch, ist also praxisrelevant - und zwar nicht nur über die Anwendung von Forschungsergebnissen, sondern auch über das Forschungsprojekt selbst.
Wichtige Zusatzaspekte:
- Solch eine Forschung macht dem Forscher Spaß. Wer keinen Spaß hat, fängt gleich gar nicht an, weil ihm die Anfangsidee" fehlt.
- Das Projekt beginnt meist aufgrund eines persönlichen Impulses, einer kulturpolitischen oder pädagogischen Idee, einem Anliegen etc. Der Forscher ist also stark motiviert, und zwar zunächst als Künstler, später dann als Wissenschaftler.
- Die forschungsrelevante Fragestellung ergibt sich meist erst im Verlauf des Projekts, sie kann zunehmend präziser werden, aber auch verloren gehen.
- Das Vorhaben dauert meist sehr lange und ist nicht sehr effektiv im Sinne der heute beliebten internationalen Standards von Forschung. Der Ausgang des Vorhabens ist lange Zeit auch ungewiss.
- Von Vorteil ist allerdings, daß sich die Projekte finanziell selbst tragen: die künstlerischen Aktivitäten werfen Geld ab, was zur Fortführung verwendet werden kann. Daher ist die Langfristigkeit" kein existentielles Problem.
Bezug zu Popularmusikforschung:
Daß der Focus auf die musikalische Tätigkeit und nicht auf die Musik als Objekt" gerichtet ist, entspricht einem Konsens der Popularmusikforschung. Die Untersuchung ist insofern kritisch", als sie das Popularmusik-Feld verändert, indem sie zeigt, daß es" auch anders geht. Die Kritik ist dabei konstruktiv" im Gegensatz zur destruktiv kritischen Sichtweise", die letztendlich das Phänomen hilflos rechthaberisch verdammt - so geschehen im Falle von Weltmusik", New Age Musik", Schulpop" und eben auch Techno".
Künstlerisch-wissenschaftliche Forschungsvorhaben greifen viele Erkenntnisse und Paradigmen der Popularmusikforschung auf, sind allerdings mit einer festen Grenzziehung zwischen Popular- und Nichtpopularmusik nicht verträglich. Ihr wesentliches experimentelles" Elixier sind Erkenntnisse, die in der Aufhebbarkeit dieser Grenzen beschlossen sind. Insofern ist die Methode des künsterlisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhabens keine genuine Methode von Popularmusikforschung - und ist das Oldenburger TechnoMuseum auch keine Institution der Popularmusik.