Blatt 9

Rhythmus-Komposition

Alban Bergs „Konstruktive Rhythmen"

Alban Berg arbeitet in seinem kompletten Ouvre mit „konstruktiven Rhythmen". Das sind Rhythmusmotive, die wie Tonhöhenmotive kontrapunktisch eingesetzt, als Leitmotive verwendet, aus Melodien abstrahiert, umgekehrt, augmentiert und diminuiert, krebsgängig verwendet ... werden. Seit 1924 kennzeichnet Berg ihm wichtig erscheinende Rhythmen in der Partitur mit „RH". In seinen Zwölftonkomppositionen verbindet Berg konstruktive Rhythmen mit Reihenkombinatorik. Zum Beispiel in der Oper „Lulu": Rhythmen entstehen durch die Aufteilung einer Reihe auf mehrere Stimmen.

Hörbeispiel (mit dem Notenblatt 9a - existiert nicht im Internet - zu verfolgen): Die Wirtshausszene im 3. Akt der Oper „Wozzeck" (UA 1925). Der „Hauptrhythmus" wird in der Partitur teilweise explizit hervorgehoben. Er wandert in vielen Varianten durch alle Stimmen. Er beginnt als Schicksalsrhythmus in der großen Trommel direkt nach dem Mord. Dann erscheint er im verstimmten Klavier der Schnellpolka, durchzieht (verzerrt) alle Lieder und verdichtet sich gegen Szenen-Ende in Wozzecks Ruf „Bin ich ein Mörder?"


Boris Blachers „Variable Metren"

Hörbeispiel: „Ornamente" für Klavier op. 37 - Sieben Studien über variable Metren (komponiert 1950). Midifile (Noten).(Zum Abspielen des Midifiles: die meisten Midifileplayer stellen auf Tempo MM=120 ein. Das File muss aber mit MM=236 abgespielt werden!)

Das Konstruktionsprinzip ist in diesem Stück gut hörbar, da die Melodik bewußt af einfachste Chromatik reduziert wird. Es entsteht auch „virtuelle Polyphonie" (Prinzip der „Minimal Music"), zudem eine laufende Dehnung und Komprimierung von Akzenten. - Das Stück ist explizit von der Rhythmuskonstruktion her gedacht, d.h. onhöhenverläufe sind der rhythmischen Idee untergeordnet.


Béla Bartóks Rhythmus-Polyphonie und Folklorismus

Eine wichtige Quelle von Bartóks Rhythmusarbeit ist die Balkan-Folklore mit ihren „irregulären Rhythmen". An vielen Stellen „zitiert" Bartók einfach Folklore-Rhythmen. Häufig geht er dann mit den aus der Folklore abgeleitetet Rhythmen „zerstörerisch" um: er bildet rhythmische Kanons, systematische Auflösungen, überführt einen Rhythmus in einen anderen usw. In zahlreichen Werken Bartóks ist die Rhyhtmusarbeit wichtiger als die melodisch-harmonische: es werden Cluster, geräuschhafte Akkorde oder Schlagzeug verwendet.

Beispiel: Streichquartett V (UA 1935 in Washington). Scherzo „Alla bulgarese" verwendet den Rhythmus 4+2+3 Achtel pro Takteinheit.

 

 

 

1. Satz Allegro: Takt 1-12 = das Thema besteht aus einem „Kopf" (Takt 9), der 4 Mal wiederholt, dabei aber rhythmisch bearbeitet wird. Aus dem Thema „abstrahiert" ist der „rein rhythmische" Anfang, der zugleich auch mit Rhythmus-Polyphonie aufwartet. - Ab Takt 25 setzt ein Rhythmus-Kanon ein, bei dem die beiden Stimmen eine eigene „irreguläre" Taktaufteilung haben 6/8 + 6/8 + 5/8 + 3/8 + 4/8 + 6/8 + 7/8 + 6/8 + 10/8 + 8/8 + 5/8 + 11/8 + 5/8 + 7/8 + Unisono. - Siehe Blatt 9b (aus Copyrightgründen nicht im Internet)!


Igor Strawinskys „Irreguläre Rhythmen"

Die Rhythmusprinzipen in „Le Sacre du Printemps": Schneller Wechsel von ON- und OFF-Feeling; irreguläre („rhapsodische") Melodik; in den Rhythmusablauf eingeschobene Kurzmotive; Rhythmuspolyphonie; variable Metren (1-2-3-4 Achtelgruppen). Eine Systematik der "Revolutionary Rhythms" in "Le Sacre du Printemps" enthält die CD-ROM „Stravinsky the Rite of spring" by Robert Winter with the Voyager Company.

Die CD-ROM enthält Kapitel zu Strawinskys Leben, den Entstehungsbedingungen, zu Instrumentation, Choreographie, Harmonik und Melodik, Form etc., ein Glossar, zahlreiche Hörübunge, ein Spiel (als Test) sowie eine komplette Audio-Einspielung.Kapitel „Rite listening"- Unterkapitel „The Revolutionary Rhythm"

pg Category Music Expl. Score: Ziffer, Seite
13 Regular Meter Rondes Printaniers (Frühlingsreigen) Z 49, Seite 38
14   Les Augures Printaniers (Die Vorboten des Frühlings - Tanz der Mädchen) Z 28, Seite 20
15 Syncopation: on regular basis Danse de la Terre (Tanz der Erde) Z 72, Seite 62
16 Syncopation: on irregular basis   Z 75, Seite 66
 
18 Unit Pulse Evocation des Ancêtres (Anrufung der Ahnen) Z 125, Seite 101
19 Revealed unit pulse Les Augures Printaniers Z 13, Seite 11
20

(two ways hearing)

   
22 Complex unit pulse Glorification de L’Élue (Verherrlichung der Auserwählten) Z 104, S. 86
26 Eratic unit pulse Danse Sacrale (Heiliger Tanz der Auserwählten) Z 142, Seite 112
 
28 Meterlessness Introduction Z 4, S. 4
29 Polyrhythms Introduction, Climax Z 9, S. 7
30      

Bemerkung:

Im wesentlichen eine systematisierende Beschreibung. Eine gewisse Ausnahme ist die „Pulse"-Theorie. Es erfolgt aber auch im Falle der „unit pulses" keine Analyse einer „unregelmäßigen" Akzentfolge... (Frage: wie folgenden die Akzente warum aufeinander? Welches Gesetz oder welche Idee steckt hinter der Akzentfolge ? etc.)

Zur Ergänzung:

Volker Scherliess: Le Sacre du Printemps. Reihe: Meisterwerke der Musik, Heft 35. Wilhelm Fink-Verlag München 1982.


Olivier Meassiaens „Mode de valeurs"

Die Tondauern werden nach Reihen geordnet. Siehe später „serielle Musik"!