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„Yo nu fui" - ich war’s nicht!

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Teil 1

Der Prozeß gegen den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet beschäftigt die Öffentlichkeit Chiles. Täglich berichten Zeitungen über den „Fall". Bei seinen Verhören muß der alte General a.D. immer wieder Erinnerungslücken schließen. Hierbei sind ihm auch ehemalige Kollegen behilflich. So erregte Anfang 2001 ein Dokument, das ein General im Safe aufbewahrt hatte, Aufsehen, aus dem hervorgeht, daß Pinochet alle Einzelheiten der berüchtigten Todes-Karawane gewußt und die Vertuschung der Massaker angeordnet hat.

Der Fall "Pinochet" beschäftigt die chilenische Öffentlichkeit auf mehreren Ebenen und in mancherlei Hinsicht. Auf der rationalen Ebene wird diskutiert, ob man heute nicht - zum Wohle der Volkswirtschaft - besser in die Zukunft blicken und mit Herumrühren in der Vergangenheit aufhören sollte. Der Ex-Diktator wäre ja doch schon fast tot. Auf der emotionalen Ebene geht es um alle Fragen der „Mittäterschaft" sowie das Verhältnis von Vergessen und Verdrängen. In diesem Zusammenhang spielt auch die Musik eine Rolle. Weniger die Kunstmusik oder das politische Lied (der „Nueva Canción Chile") als vielmehr der gemeine, kommerzielle Schlager.

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Teil 2

Vom 21. bis 26 Februar 2001 fand in Viña del Mar das „XLII Festival Internacional de la Canción" statt. Das Festival wird in voller Länge täglich von 22 bis 2 Uhr im Fernsehen übertragen und ist entfernt mit einem lateinamerikanischen „Prix de Eurovision" vergleichbar. Einer der Stars des Festivals war Pedro Fernández, der Stücke aus seiner jüngsten CD „Yo no fui" vortrug. Der Titelsong „Yo no fui" stieg im März 2001 von Platz 6 auf Platz 1 der Hitparade (und zwar sowohl in den Top 10 des „Pop Latino" als auch unter „General").

Die (einzige) chilenische Musikzeitschrift „Pasión por La Música" widmete in der Märzausgabe Pedro Fernández einen Leitartikel (siehe Kasten 1). Der Artikelschreiber führt den Erfolg von „Yo no fui" einerseits auf eine geschickte Stilmischung, andererseits darauf zurück, daß es sich hier um ein „Retro-" bzw. ein „Ohrwurm-Phänomen" handelt.

Es war nicht Pedro Fernández

Ein Lied, so einfach treffend und klebend wie „Yo no fui" vergißt man nicht leicht. Und wenn es vergessen wird, taucht es später wieder auf. Deshalb war es für Pedro Fernández so einfach, seine neue Version zu verbreiten, in der sich die Rhythmen der Cumbia, des Salsa und des Mambo vermischen.

Nein, es war nicht Pedro Fernández! Dasselbe sagen auch die Worte des Liedes „Yo no fui". Und so ist es, er war es nicht... Er war es nicht, der das Lied zum ersten Mal sang. Dieses Stück hat eine Geschichte von 5 Jahrzehnten. Sein Autor ist Consuelo Velazquez, berühmter durch Boleros wie „Bésame mucho", „Franqueza" und „Verdad amarga". Von seiner Schöpfung bis heute hat die Komposition viele Interpreten gehabt. Zu den berühmtesten zählen Pedro Infante und Benny Moré, und der letzte wurde von dem Orchester von Pérez Prado begleitet.

Der mexikanische Sänger hat auf seiner neuen CD, die den Namen des genannten triumphalen Stückes trägt, noch andere historische Kompositionen, zum Beispiel die erfolgreiche „Delilah", die durch Tom Jones in den 70ern populär wurde. Oder „Sin tu amor", die durch Los Yndios in den 70er gesungen wurde. Oder „To all the girls I’ve loved before", ein Hit im dem Repertoire von Ray Conniff und Engelbert Humperdinck, das Pedro hier im Duett mit dem Spanier Bertin Osborne singt. Dieser Retro-Geschmack, erscheint auch in zwei anderen Stücken der CD, das ist „Delinquente juvenile" und „Cómo te extrañjo".

Trotzdem begegnet uns dieses Eintauchen in die Vergangenheit gefiltert durch den persönlichen Stil von Pedro Fernández auf einem Hintergrund des vokstümlichenTons. Derart, daß, wenn wir aufhören, das Album zu hören, uns der Geschmack von „Ranchera" bleibt. Man darf nicht vergessen, daß dieser Künstler einer von denen war, die diese Art von Musik revitalisiert haben.

aus: „Pasión por La Música" 3/2001, S. 6

„Yo no fui" besitzt die für einen Erfolgsschlager erforderliche augenzwinkernde Ironie. So ist „yo no fui" eine lateinamerikanische Redensart, mit der zum Ausdruck gebracht wird, dass man „es nicht war", zugleich aber diese Tatsache so sehr (über-)betonen muß, daß schon wieder Zweifel an der Unschuld dessen berechtigt sind, der den Ausspruch äußert. Und wenn im Refrain des Liedes pausenlos die Unschuld beteuert wird und viele potentielle Anschuldiger erfunden und zurückgewiesen werden, so schraubt sich hier der Sänger in seiner Unschuld so weit hoch, daß ihm keiner mehr glauben kann. Selbst auf dem Bild des Plattencovers zwinkert Pedro Fernández fast unmerklich mit dem linken Auge. Siehe Text unten 2!

Ich war es nicht

Wenn sie kommen und Dir erzählen

schlechte Dinge über mich,

jag sie alle weg

und sag ihnen, daß ich es nicht war.

Ich versichere Dir, daß ich es nicht war:

Es sind reine Erfindungen von denen dort

Du mußt mir glauben.

Ich schwöre Dir, daß ich es nicht war.

Wenn sie kommen und Dir erzählen

schlechte Dinge über mich,

jag sie alle weg

und sag ihnen, daß ich es nicht war.

Alle von denen dort sagen mir,

daß Du „ein Gesicht hast von ich war es nicht".

Und sie sagen zu Dir „ihn habe ich gesehen".

Du mußt mir glauben.

 

Ey, Mamma, daß ich es nicht war.

Ich versichere Dir, daß ich es nicht war.

Schau, Muchacha, daß ich es nicht war.

Ich versichere Dir, daß ich es nicht war.

Du hast ein gefallssüchtiges Gesicht.

Und ich versichere Dir, daß ich es nicht war.

Schau, Mädchen, daß ich es nicht war.

Ich versichere Dir, daß ich es nichtwar.

Yo no fui

Si te vienen a contrar

cositas malas de mi,

manda a todos a volar

y diles que yo no fui.

Yo te asguero que yo no fui:

son puros ciento de por ahi

Tú me tienes que creer a mi.

Yo te lo juro que yo no fui.

Si te vienen a contrar

cositas malas de mi,

manda a todos a volar

y diles que yo no fui.

Todos me dicen por ahi

que „tienes cara de yo no fui".

Y a ti te dicen „a él yo lo vi".

Tú me tienes que creer a mi.

 

Ay, mamá, que yo no fui.

Yo te aseguro que no fui.

Mira, muchacha, que yo no fui.

Yo te aseguro que yo no fui.

Tú tienes cara de piruli.

Yote aseguro que yo no fui.

Mira, chapara, que yo no fui.

Yo te aseguro que yo no fui.

Teil 3

Im Spitzenschlager werden die tiefsten Regungen des Volkes zutage gespült. Die Manipulations- oder Orhwurmtheorie reicht selten aus, den Platz 1 einer Hitparade zu erklären. Und so geht einem bei diesem Schlagertext noch eine weitere These zum Erfolg von „Yo no fui" durch den Kopf: Pedro Fernández’ augenzwinkernde Ironie gilt dem Ex-Diktator Augusto Pinochet, ja gilt der ganzen Nation. Und in der Tat hat die konservative Tageszeitung „El Mercurio" diese These bereits im Januar 2001 in Form einer Karikatur („Das Lied der Woche") formuliert. Hier sieht man Pinochet mit dem typisch mexikanischen Charro. Im Hintergrund schweben die Anfangszeilen des Liedes „Yo no fui". Dabei wird mit Mitteln jenes Geheimcodes, den alle Diktaturen kennen, Pinochet nicht explizit der inkriminierende Ausspruch, sondern lediglich der harmlose Liedanfang in den Mund gelegt. Jeder aber weiß, was gemeint ist...

Im Kontext der öffentlichen Diskussion um Vergessen und Verdrängen dessen, was in Chile in den Jahren der Militärdiaktatur 1973 und 1990 passiert ist, bringt „Yo no fui" mehr als eine banale Analogie zum Ausdruck. Die augenzwinkernden Unschuldsbeteuerungen des Mexikaners Fernández können dazu benutzt werden, Verdrängtes zu verarbeiten. Die Vergangenheit wird nicht brutal wie vor Gericht oder in den politischen Kommentaren ans Tageslicht gezerrt, sondern „mit einem gewissen Lächeln". Das politische Zögern der chilenischen Richter, Pinochet einen klaren öffentlichen Prozeß zu machen, wird feinsinnig dargestellt und sogar begründet. Hierdurch werden die Gräben, die die chilenische Gesellschaft durchziehen, nicht weiter vertieft, sondern Brücken gebaut. Man lächelt gemeinsam und weiß sogar, worüber man lacht.

Teil 4

Im Musikunterricht bei uns kann einerseits der Schlager „Yo no fui" im ausgeführten Sinne als eine besondere Art des politischen Liedes besprochen werden. Besser jedoch wäre es, die Funktion, die „Yo no fui" in Chile hat, als Lehrstück zu begreifen und auf diesem Hintergrund Unterricht zu gestalten:

Im ersten Schritt können die SchülerInnen Situationen erfinden und erdichten, in denen „yo no fui" gesagt wird.

Im zweiten Schritt können sie mit Hilfe der Musik des Refrains diese Situation vertonen und musikpraktisch umsetzen. Dabei sollten sie die Textschablone des Schlagers verwenden und ihren Text singbar formulieren.

Im dritten Schritt können die SchülerInnen aktuelle Informationen zum „Fall Pinochet" und zur Geschichte Chiles - bzw. irgendeiner anderen Diktatur Lateinamerikas - sammeln (Zeitungen, Internet) und sich anschließend selbst überlegen, warum „Yo no fui" im Frühjahr 2001 solch ein Erfolgshit in Chile gewesen ist.

Nicht ganz auszuschließen ist die aktuelle Diskussion um Verdrängen und Vergessen in Deutschland. Interessant wäre auch die Frage, ob es bei uns In Deutschland Schlager (oder sonstige Musik) gibt, die sich mit dem aktuellen Vergessen und Verdrängen auseinandersetzt und dabei nicht moralisch ist, sondern die „Message" augenzwinkernd verkündet.