zur Indexseite Musiktheaterpädagogik S 2003/04
Blatt 8
Augusto Boal
"Pädagogisches" statt "didaktisches Theater": keiner weiß es besser als der andere, gemeinsam lernen, entdecken, erfinden, entscheiden. Schauspieler organisieren diesen gemeinsamen Prozess, sie "verkünden" aber keine Botschaft, wie es im "didaktischen Theater" der Fall ist. ("Theater der Unterdrückten" 1979).
Konstruktivistische Weiterentwicklung dieser Idee: alle Beteiligten machen sich ihren Reim auf das Gespielte, die Inszenierung bietet für diese "Reime" ein Diskussionsforum. ("Der Regenbogen der Wünsche" 1999.)
Leitspruch (von Stanislawski stammend): "physische Handlungen zur Schulung des emotionalen Gedächtnisses und des Sinnengedächtnisses", dieses Prinzip aus dem professionellen Bereich des Schauspiels soll allen Menschen helfen, "persönliche Erlebnisse überzeugend darzustellen und zu verarbeiten".
Beispiele aus Boals Reservoire von Techniken:
Zeitungstheater |
Zeitungsartikel laut lesen und mit Realität konfrontieren. |
Unsichtbares Theater |
Schauspieler mischen sich unters Volk und brechen eine realistische Diskussion vom Zaun. |
Statuen-Theater |
Zwei Standbilder: Ausgangsstandbild = reale Situation, End-Standbild = utopische Situation. Der Übergang zwischen beiden Bildern wird gespielt. |
Forum-Theater |
Zuschauer verändern den Spielablauf, wechseln Spieler aus, drehen den Spielablauf zurück usw. |
Blitzforum |
Zuschauer setzen eine gespielte Szene (gegebenenfalls nach "Stop-Ruf") fort. |
Stopp-"Denk nach!" |
Ein Stopp-Ruf friert die Spieler ein. "Denk nach!" Dann laut Gedanken aussprechen. (Nur den inneren Monolog aussprechen.) "Aktion!" |
Jahrmarkt |
Im Raum werden mehrere Szenen gleichzeitig improvisierend gespielt und dann miteinander in Beziehung gesetzt. |
Drei Wünsche |
Spielen - "Stop!", alle frieren ein - jemand darf Bild nach Wunsch verändern - es geht weiter (dies 3 Mal). |
Für Taube spielen |
Eine gesprochene Szene ohne Worte wiederholen. |
Spaltung |
(Trennung des inneren vom äußeren Monolog) Spiel einfrieren, Gedanken in (innere) Worte fassen, Dialog ohne Bewegung, Gedanken in stummer Aktion zum Ausdruck bringen. |
"Sachte!" |
Bei sehr aufgeheizter Situation extrem leise sprechen. |
Jakob Levy Moreno
Grundthese Morenos: die meisten psychischen Krankheiten und Probleme haben ihre Ursache in einem Verlust an Spontaneität in unserer Gesellschaft (USA der 60er Jahre).
Spontaneität = Bereitschaft neue Handlungen durchzuführen. Dabei gibt es neben der pathologischen und stereotypen Spontaneität (letztere vor allem in der Kunst) die "kreative Spontaneität", die eine adäquate Reaktion auf neue Situationen oder eine neue Reaktion auf alte Situationen ist.
Die 3 Phasen der psychodramatischen Arbeit: (1) "Warming Up" (Herstellen einer Gruppenbeziehung), (2) Untersuchung eines Konflikts in Spielhandlungen, (3) "Sharing", die Reflexions- und Feedbackphase.
Exemplarische Techniken des Psychodramas:
Rollentausch |
Mitten im Spiel werden zwei Rollen vertauscht. |
Doppeln |
Zuschauer treten während des Spiels in die Szene und agieren als "Hilfs-Ich". |
Spiegeln |
Teile einer Szene werden von einer ZuschauerIn nochmals nachgespielt. Die Spielerin soll sich "von außen sehen". |
der Leere Stuhl |
Eine wichtige Person wird (in der Vorstellung) auf einen leeren Stuhl gesetzt und dann wie ein Kommunikationspartner angesprochen. |
Zauberladen |
Persönlichkeitsmerkmale, Gefühle oder Phantasien können gekauft werden. Bezahlt wird mit eigenen Persönlichkeitseigenschaften bzw. -anteilen. |
Beiseite Reden |
Während des Spiels besteht die Möglichkeit, seine "wirklichen Gedanken" beiseite zu sprechen. (Bekannte Technik im klassischen Theater.) |
Gruppenübung zu
"Theater der Unterdrückten" nach Boal und "Psychodrama"
nach Moreno
Thema: "Musikpiraterie versus Klauen im Kaufhaus"
Hintergrund:
Einer vor einer Woche veröffentlichten Untersuchung zufolge schwänzen 50% der Jugendlichen „gelegentlich" die Schule. Von den Schwänzern sagen 33%, dass sie auch manchmal „ein Ding drehen". Kriminalstatistiken sagen aus, dass kleinere Kriminaldelikte immer häufiger auch von Jugendlichen zwischen 11 und 15 begangen werden, vor allem Kaufhausdiebstahl. Das Unrechtsbewusstsein sei zwar vorhanden, von anderen „Motiven" jedoch überdeckt. Diverse Landes- und Bundesregierungen planen entsprechende Aufklärungskampagnen, polizeiliche Maßnahme und härtere Bußgelder für Eltern wegen Verletzung der Aufsichtspflicht. |
In derselben Woche beklagte die deutsche Musikindustrie den Rückgang der Umsätze und Gewinne. Ursache sei die „Musikpiraterie", der man in Zukunft härter als bisher zu Leibe rücken werde. Die technischen Schutzmaßnahmen seien weitgehend ausgeschöpft. Es müsse konsequenter durchgesetzt werden, dass Kopieren und Tauschen von kopierten Musikstücken grundsätzlich illegal ist. Diese Akte schaden nicht nur der Musikbranche und den Künstlern, sondern zeugten schlichtweg von falschem Bewusstsein gegenüber Straftaten und Gesetzen. Leider fehle bei den Jugendlichen aber das Unrechtsbewusstsein. |
Beispielhafte Konstellation für eine Szene oder mehrere Szenen:
Aufgabe:
Eine Szene entwickeln und eine oder mehrere der Methoden
(Blatt 8) |
Anmerkung:
Diese Aufgabe steht prototypish für das Entwickeln von Szenen durch Jugendliche unter Anleitung eines Lehrers als Spielleiter: Es gibt eine Idee zu einer konflikthaltigen Situation und nun soll spielerisch (und nicht theoretisch) eine konkrete Szene entwickelt werden.