Meine Kritik am Aufbauenden Unterricht
Der ganzheitliche und konstruktivistische Ansatz einer auf der Tätigkeitspsychologie gegründeten Musikdidaktik steht in krassem Gegensatz zum Aufbauenden Unterricht und dessen theoretischer Begründung in der Wilfried Gruhn'schen Auffassung von "Musik verstehen" und "Musik lernen". Es ist kein Zufall, dass ich neben Kollegen wie Lugert und Ott zum "Gegenspieler" bei der sehr erfolgreichen Durchsetzung des Aufbauenden Unterrichts geworden bin. Zwei sehr gute und langjährige Freund/innen sind dabei quasi zu meinen "Feinden" geworden: Werner Jank, der in unserem Fach in Oldenburg in entscheidender Weise groß geworden ist, und Mechtild Fuchs, mit der mich "Basisarbeit" in Freiburg während unseres Studiums und eine langjährigen Mitarbeit im Arbeitskreis Demokratischer Musik verbindet. Auf offener Bühne habe ich mich nur einmal explizit mit Werner Jank gestritten (und das recht erfolglos). Ansonsten fand der Schlagabtausch im papier'nen Blätterwald statt, den ich hier zusammenstellen und dokumentieren möchte.
Meine Kritik am Aufbauenden Unterricht in Stichworten:
- Der AMU begeht den Grundfehler einer längst überholten Didaktik: die Strukturierung von Lernprozessen aus der "Systematik des Faches" abzuleiten.
- Der AMU propagiert über die Berufung auf Gordons Idee einer "Audiation" die Musiklehre als die Basis von "Musik verstehen".
- Der AMU ersetzt "musikalische Tätigkeit" im Musikunterricht durch "Musiklernen".
- Der AMU gründet auf einer Theorie musikalischer Etwicklung "des Menschen", die eurozentristisch ("weiß") und bürgerlich ist.
- Der AMU verwendet in seinem "entwickelten" Stadium das Ziel der Kulturerschließung ohne zu bemerken, dass gerade der aufbauende Unterricht am allerwenigsten dazu in der Lage ist, den Schüler/innen Kultur(en) zu erschließen.
- Der AMU verabsolutiert ein an der Kunstmusikreproduktion orientiertes Ideal des Klassenmusizierens, in dem er, damit dies "erfolgreich" sei, einen aufbauenden Gehör- und Instrumentalausbildugsunterricht voraussetzt.
- Die Publikationen zum Aufbauenden Unterricht (Werner Janks MusikDidaktik für die Sekundarstufen und Mechtild Fuchs' Musikdidiaktik für die Grundschule) suggerieren, dass der AMU nicht ein "Konzept" unter Vielen, sondern "Musikunterricht schlechthin" ist.
Und was begründet den Erfolg des Aufbauenden Unterrichts?
- Der AMU entlastet die Musiklehrer/innen von allen Problemem der Schüler- und Handlugsorientierung.
- Der AMU reiht das Schulfach Musik in die Klasse der anerkannten aufbauenden Fächer wie Deutsch und Mathe ein.
- Der AMU entspricht den weit verbreiteten Vorstellungen, wie Musikunterricht ist, gerade bei all' jenen Bürger/innen und Eltern, die sagen, ihr Musikunterricht sei schlecht gewesen, sie könnten nicht singen oder sind unmusikalisch.
- Kurz, der AMU ist nach PISA bildungspolitisch angesagt.
- In einigen Bundesländern steht in den Rahmenrichtlinien lapidar im Vorwort: "Der Musikunterricht ist aufbauend". Damit erübrigt sich jede weitere Diskussion.
2014. Aufbauender Musikunterricht - Ein Nachruf. Auch Irrwege führen zum Ziel - vom Ende eines Hype
Diesen Text sollten alle Besucher/innen der vorliegenden Seite zu allererst lesen. Er relativiert die Verbissenheit, mit der die Diskussion 2003 bis 2005 geführt worden ist.
2003. Die Auseinandersetzung mit der theoretischen Begründung des Aufbauenden Musikunterrichts: "Musik lernen - ein taktisches Programm, das Fragen aufwirft".
In dieser vom Herausgeber der Fachzeitschrift "diskussion musikpädagogik" erwünschten Kritik an einem Grundsatzaufsatz zum "Musik lernen" erörtere ich zunächst drei Essentials eines tätigkeitsorientierten Musikunterrichts: das Lernen im Alltag soll Model von "Musiklernen" sein; Musiklernen ist Aneignung von Wirklichkeit mit musikalischen Mitteln; für erfolgreiches Lernen müssen die Lernenden motiviert sein. Im Gegensatz hierzu entfernt sich der AMU vom alltäglichen Musiklernen (weil dies defizitär ist?), ist keine Wirklichkeits- sondern eine Musikaneignung und hat keinerlei Konzept, wie Lernende motiviert werden könnten. Mein Fazit ist, dass der Aufbauende Unterricht "taktisch" angesichts PISA und Politikerschelte ("Spaßpädagogik") zu rechtfertigen ist, nicht jedooch als ein musikpädagogisches Konzept. (Bemerkung: in diesem Aufsatz ist nicht von "Aufbauendem Unterricht" sondern von "Musik lernen" die Rede.)
2004. Das Konstrukt "Musikunterricht" aus unterschiedlicher Sicht: "Musiklernen und die musikalische Aneignung von Wirklichkeit".
Werner Jank wirft mir vor, dass ich das "Konstruktur Musikunterricht" keiner handlungstheoretischen Analyse unterziehe und die Lebenswirklichkeit der Schüler/innen verabsolutiere. Er stellt als ein wichtiges Kriterium des AMU vor, dass "individuelle Lernprozesse" optimiert werden. Auch wenn Jank nicht explizit auf den Zug der "Kompetenzorientierung" aufspringt, ist sein Lernprozess doch ein "musikimmanenter". Doch wozu soll man "Musik" lernen, wenn das nichts mit dem Leben zu tun hat? Ich stelle als Erfolgskriterien des Musikunterrichts das heraus, was 1983 die Niedersächsische Studienreformkommission formuliert hat: die Schüler/innen sollen befähigt werden, aktiv, bewusst, selbstbestimmt und sozial musikalisch tätig zu sein.
2005. Eine offene Podiumsdiskussion zwischen Werner Jank und mir auf dem AfS-Kongress in Nürnberg: "Aufbauender Musikunterricht Königsweg oder Sackgasse"
Auf diesem Podium kritisiere ich zunächst den Begriff der "musikbezogenen Handlungsorientierung", den Jank eienleitend verwendet. Im zweiten Teil Propagiere ich, dass sich die Schule mehr am Lernen im Alltag ausrichten soll, während Jank zuvor "Musiklernen" in der Schule dargestellt hat. Im dritten Teil stelle ich das Modell eines nicht-aufbauenden Musikunterruichts vor, in dem ich die von Jank u.a. exemplarisch vorgestellte Unterrichtseinheit zum "Drunken Sailor" vom Kopf auf die Füße stelle.
2010. Kinderszenen. Vom Szenischen Spiel zur Szenischen Interpretation
Vordergründig handelt dieser Aufsatz, der für Mectild Fuchs u zum 65. Geburtstag geschrieben worden ist, um die Unterscheidung von Szenischem Spiel und Szenischer Interpretation. Hintergründig, d.h. in Wirklichkeit, geht es mir darum, das Konzept der "Kulturerschließung durch Aufbauenden Unterricht" zu zerlegen. Mechtild Fuchs insitiert in ihrem Grundschul-Handbuch auf "Kulturerschließung" unter Beibehaltung des aufbauenden Unterrichts. Anhand eines Beispiels zeige ich, dass und wie sich Kulturerschließung in einem nicht-aufbauenden Unterricht besser als in einem aufbauenden bewerkstelligen lässt.