Bologna
Eine Chance für die Profilierung der
Musiklehrerausbildung an den deutschen Universitäten
Bislang haben sich die Musikpädagogikabteilungen an den Universitäten stets - mehr oder weniger bewusst - an den Schulmusikabteilungen der Musikhochschulen gemessen und nicht an ihren eigenen Qualitäten. Die aktuelle europaweite Vereinheitlichung der Studiengänge ist eine Chance für die Universitäten, ihr traditionelles Minderwertigkeitsgefühl endgültig zu überwinden.
Jetzt wird gefordert, dass ein Studium sich nicht an der Aura ihres Gegenstandes, sondern an den Berufszielen misst. Diese Berufsziele lauten schlicht und einfach:
Handlungsfähige, handlungswillige und selbstbewusste Musiklehrer für allgemein bildende Schulen".
(1) (Motivation) EinE MusiklehreIn, die Lust auf Schule, auf Unterrichten, auf pädagogische Lernprozesse, Freude an Kindern und Jugendlich, eine Achtung vor deren Musikkultur sowie Empathie im Hinblick auf schülerorientierten Umgang mit Musik hat.
(2) (Handlungsfähigkeit) EinE MusiklelherIn, die die die unter (1) genannte Lust und Motivation in kompetentes und zielgerichtetes Handeln umsetzen kann, die also in der Lage ist, mit Jugendlichen zu musizieren, jugendliche musikpädagogisch zu fördern, den schülerorientierten Umgang mit Musik zu reflektieren und emanzipatorisch weiter zu entwickeln.
(3) (Selbstbewusstsein) EinE MusiklehrerIn, die künstlerisch so selbstbewusst ist, dass sie sich auch im Spiegel der SchülerInnen in Frage stellen, weiter entwickeln, aber auch behaupten und als musikalische Vorbild agieren kann.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den anregenden Aufsatz von Renate Müller "Erfolgstyp Musiklehrer" in der Musikpädagogischen Forschung, Band 12 (1991), S. 90-101.
Das Negativbild dieser positiven Musiklehrer-Figur ist ein heute weit verbreitetes Produkt von Musiklehrerausbildung:
- Ein Mensch, der eigentlich gar nicht Musiklehrer werden möchte;
- ein Mensch, der im Grunde alles, was Schüler mögen, selbst verachtet und hasst;
- ein Mensch, der der Meinung ist, sein persönlicher Musikgeschmack sei das Maß aller Dinge;
- ein Mensch, der möglichst nicht in die Schule gehen will;
- ein Mensch, der, falls er doch an die Schule geht, am liebsten sich in freiwilligen Arbeitsgemeinschaft selbst verwirklicht;
- ein Mensch, der im Lehrerkollegium als komischer Kauz nicht Ernst genommen wird;
- ein Mensch, der mit dazu beiträgt, dass die meisten SchülerInnen Musikunterricht hassen, lächerlich finden und, sobald ö abwählen;
- ein Mensch, der zur Krise des Faches Musik an allgemeinbildenden Schule aktiv beiträgt;
- ein Mensch, der selbst in seinem Hauptberuf unglücklich ist;
- ein Mensch, der sich (statistisch nachgewiesenermaßen) am frühesten innerhalb seiner Berufsgruppe früh-pensionieren lässt...
Dies Negativbild ist erzeugt durch eine Musiklehrerausbildung, die folgende Mängel aufweist:
- eine falschen Aufnahmeprüfung;
- eine meist räumlichen und zeitliche Isolierung der Musik-Ausbildung von der Ausbildung im (charakteristischer Weise so genannten) Zweiten Fach und der allgemeinen Erziehungswissenschaft;
- eine Ungleichgewichtigkeit der beiden zu studierenden und später zu unterrichtenden Schulfächer;
- eine meist strukturelle Diskriminierung der SchulmusikerInnen innerhalb der Hochschule;
- eine von pädagogischen Perspektiven wegführenden künstlerischen Ausbildung in den meisten Studienbereichen;
- ein zumeist hilfloser und oft gettoisierter Versuch der extrem engagierten MusikhochschulmusikpädagogInnen, diesem Zustand entgegen zu steuern;
- eine oft schwer zu kompensierende Diskrepanz zwischen künstlerischem Anspruch und Berufsziel;
- eine falsche Gewichtung der Unterrichtsfächer;
- die Unfähigkeit einschlägig Lehrender, Schul- bzw. Berufsbezüge herzustellen, z.B. in Komposition/Tonsatz das Arrangieren von Popmusik für a cappella, das Heraushören von aktueller Musik von Tonträgern bzw. Radio/Fernsehen und einschlägiges schulbezogenes Arrangieren, die Vermittlung von Grundkenntnis wichtiger Strukturmerkmal der Musik der Welt (türkische Musik, nordafrikanisch-arabische Musik, westafrikanische Musik, indische Musik, lateinamerikanische Musik etc.);
- die häufige Abschottung der SchulmusikstudentInnen von anderen Lehramtsstudierenden anderer Fächer und damit eine mangelhafte Vorbereitung auf die Anforderungen interdisziplinärer Kollegialität in der Schule;
- die vollkommen falschen Prüfungen in Musiktheorie und Musikpraxis;
- die Erzeugung von falschem Bewusstsein, z.B. über die Funktion und Bedeutung von Musik und Kunst in der Lebensrealität der Masse der Menschen.
Mit Bezug auf alle diese Aspekte ist die Musiklehrerausbildung an Universitären derjenigen an Musikhochschulen strukturell überlegen, auch wenn die sächliche, räumliche und personelle Ausstattung sowie die Rahmenbedingungen (z.B. Studiendauer) schlechter sind:
- An Universität studieren Musiklehrerstudierenden von Anfang an bewusst und selbstbewusst auf das Berufsziel MusiklehrerIn hin;
- alle Ausbildungsstrukturen fördern die Präsenz dieses Ziels und stellen ständig die Frage, ob das Ziel realistisch ist;
- von Anfang an werden zwei Unterrichtsfächer in gleicher Weise und mit gleichem Ernst studiert, Musik erscheint so, wie es später an der Schule ist, als ein Fach unter vielen anderen;
- zumindest strukturell vermeidet die Musiklehrerausbildung an Universitäten die Diskriminierung der Schulmusik und fördert, umgekehrt ausgedrückt, das Selbstbewusstsein eines pädagogen;
- die Instituts für Musik(pädagogik) sind an Universitäten wie alle anderen Institute Einrichtungen, in denen Lehre und Forschung miteinander verknüpft sind, so dass die Ausbildung stets in aktuelle Forschungsprozesse eingebunden, forschendes Lernen möglich bzw. selbstverständlich ist;
- daher wird das Meister-Schüler-Prinzip der Handwerkslehre ersetzt durch ein Diskursprinzip, wie es an universitären Seminaren der Fall ist (bzw. strukturell der Fall sein sollte);
- aufgrund der Tatsache, dass das Musiklehrerstudium an Universitäten sich an der allgemeinen Lehrerausbildung und ihren Rahmenbedingungen und nicht nur an der Musik messen muss, ist es zu hoher Effektivität gezwungen, die sich positiv auf die Studieninhalte auswirkt (bzw. aus wirken kann).
Es ist daher zwar ein Tabubruch, aber dennoch eine zwingende und längerfristig heilsame Bologna-Konsequenz, wenn wir folgende Maßnahmen berprüfen:
- Strukturreform der Musiklehrerausbildung durch Umverlagerung der Ressourcen der Schulmusikabteilungen an die Universitäten, einer Befreiung der Musikhochschulen von den Schulmusikabteilungen und einer Emanzipation der Schulmusik durch volle Integration der Musiklehrerausbildung in die Lehrerausbildung an Universitäten.
- Eine strukturelle Gleichbehandlung des Unterrichtsfaches Musik nicht nur an allen allgemeinbildenden Schulen, sondern auch in der Lehrerausbildung.
- Eine Verbesserung der Musiklehrerausbildung durch Übernahme der unter den aktuellen schlechten Rahmenbedingungen an den Universitäten bereits entwickelten pädagogisch und musikkulturell zukunftsweisenden Ansätze.
Unser eigenes Selbstverständnis sollten wir anhand folgender Maximen überarbeiten:
- Nicht die Schulmusik ist unser Maßstab, sondern alle guten Ansätze, die wir selbst in den vergangenen 25 Jahren entwickelt haben.
- Die Definitionsmacht der Musikhochschulen, die mit einem vollkommen falschen Verständnis von Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen einhergeht, muss unbedingt offensiv gebrochen werden.
- Toleranter Umgang mit den Musikhochschulen kann nur taktisch aber nicht inhaltlich begründet sein.
- Die strukturelle Kritik betrifft selbstverständlich nicht die vielen guten KollegInnen, die sich an den Schulmusikabteilungen abmühen, aus dem der Musiklehrerausbildung im Grunde abträglichen Ambiente das Beste zu machen.
- Die strukturelle Kritik betrifft nicht die Musikhochschulen als hoch spezialisierten Fachhochschulen für höchst qualifizierte KünstlerInnen, die für den Konkurrenzkampf im Kunstmusikbetrieb ausgebildet werden.