Aus: Die Grünen Hefte, 30/1991, S. 25-31.
Friedenserziehung und Musikunterricht - Versuch einer Orientierung
Vorbemerkung Anfang 2016: Vor 25 Jahren gab es eine lebhafte
musikpädagogische Diskussion um Friedenserziehung. Eine solche Diskussion scheint es heute, wo nicht nur
Kriege am Rande Europas toben sondern inzwischen Mitteleuropa auch ganz massiv von Kriegsfolgen tangiert ist,
nicht zu geben. Warum eigentlich? Gehört "Friedenserziehung" zu jenen Themenfeldern, die "man"
nicht mehr hören kann, die abgestanden und zu Tod debattiert worden sind? Oder einfach deshalb, weil diese
Friedenserziehung nichts genützt hat?? Wie dem auch sei, es mag heute nicht uninteressant sein, an die alte
Diskussion aus den 1991er Jahren zu erinnern, denn sie ist noch aktuell sobald man sie überhaupt zur Kenntnis
nimmt. Selbst die Liederbücher und Unterrichtsmaterialien, die seinerzeit den musikpädagogischen Markt
überfluteten und über die ich mit dem vorliegenden Aufsatz informieren wollte, sind noch größtenteils aktuell.
Ich wünsche, dass alle an Interkultureller Musikerziehung Interessierten sich wieder mit dieser Diskussion beschäftigen!
Vorbemerkung vom 25. Februar 2022: Die Vorbemerkung von 2006 ist seit gestern hinfällig.
Friedenserziehung braucht nicht mehr weiter legitimiert zu werden! Ich erinnere auch an den Titel "Russians" von Sting:
https://www.youtube.com/watch?v=wHylQRVN2Qs! Anfang 2023, nachdem der Krieg Russland gegen die Ukraine
ins 2. Jahr gegangen ist, schrieb ich eine Unterrichtseinheit zu einem Ukrainischen "Kriegslied", das von Ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland
mit großer Intensität gesungen wird. Weitere Info hierzu hier! Schlißelich möchte ich noch auf meinen
Beitrag "Interkulturelle Musikerziehung ist Friedenserziehung" verweisen.
Friedenserziehung nur im erfahrungsbezogenen Unterricht!
Am 6. Januar 1991 verließen zwischen 3 und 6 Uhr früh 18 Jagdbomber den
Oldenburger Fliederhorst in Richtung Türkei. Eine kleine Gruppe von
DemonstrantInnen stand am Kasernentor und durfte gegen 11 Uhr mit dem
Kasernenkommodore diskutieren. Wie zu erwarten war, prallten die Meinun-
gen aufeinander. Die DemonstrantInnen meinten, die Entsendung des Olden-
burgischen Bombergeschwaders treibe die Kriegsvorbereitungen voran und
könne allenfalls einer Eskalation möglicher Kriegshandlungen dienen. Der
Kommodore schätzte die Entsendung der Oldenburger als einen Beitrag zur
Friedenssicherung ein, der zudem nicht von den Soldaten, sondern den
Politikern in Brüssel zu verantworten sei.
(Zwischenbemerkung: es handelte sich hier um den "2. Golfkrieg" ("Ersten Irak-Krieg")
und den Einmarsch amerikanischer und aliierter Truppen in ein souveränes Land.)
Unabhängig vom Falsch oder Richtig der politischen Prognosen der beiden
Kontrahenten im Fliegerhorst, zeigt diese Diskussion, daß es nicht die Vorstellung von
"friedenspolitischer Tätigkeit", ja nicht einmal die Vorstellung von
"Frieden" gibt. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß es vollkommen
kontroverse Vorstellungen von Frieden und friedenspolitischem Handeln
gibt. Für den Unterricht an allgemeinbildenden Schulen folgt daraus, daß
wir LehrerInnen uns in einen Diskussionsprozeß hineinbegeben müssen,
wenn wir Friedenspädagogik betreiben wollen. Wir müssen uns darauf
einstellen, daß wir mit SchülerInnen das Problem "Frieden" besprechen.
Dabei wäre es das Allerschlimmste, wenn wir einen ganz bestimmten
Friedensbegriff "vermitteln" wollten, ohne darauf zu achten, daß die
SchülerInnen zunächst einmal ihre Vorstellungen, Wünsche, Utopien und
Ängste artikulierten. Jede Diskussion setzt voraus, daß die Dis-
kutierenden zu allererst ihre Position darstellen und dabei auch sich
selbst bewußt machen können. Solche ein Darstellen von Positionen sollte
von uns organisiert sein: einmal, indem wir geeignete inhaltliche Im-
pulse zur Entfaltung der Diskussion geben (ein Lied, ein Musikstück, ein
Bild, einen Text, zwei Meinungen, ein Video, eine Aufgabe usw.), zum
andern, indem wir die Diskussion strukturieren und als Lernprozeß ge-
stalten.
1. Die Positionen und Ziele der Friedenspädagogik der 80er Jahre
Die Diskussion um eine wirkungsvolle Friedenserziehung hat sich in den
80er Jahren auf dem Hintergrund der Friedensbewegung abgespielt, die mit
den Aktivitäten gegen die Raketenstationierung im Herbst '83 einen
Höhepunkt und eine Niederlage erreicht hatte. Durch Tschernobyl ist der
Welt nochmals die "atomare Bedrohung" bewußt geworden, ohne daß die
Friedensbewegung einen "Aufschwung" aus ihrer Niederlage '83 erlebt
hätte. Die weltweite Aufrüstung ging weiter und weltweit geächtete
Kriege wurden von den Supermächten unbehelligt geführt: in Afganistan,
in Falkland, in Granada, in Nicaragua, in Panama. Die Beendigung des
Kalten Kriegs auf deutschem Boden durch eine zunächst linke Pro-
testbewegung in der DDR hat darüberhinaus die Möglichkeit friedlicher
Konfliktlösungen allen Deutschen vor Augen geführt.
In der Friedenspädagogik hat sich auf diesem politischen Hintergrund
eine gewisse Wende abgespielt. Während zuvor überwiegend das Bild eines
friedensfähigen Menschen Bezugspunkt der Friedenspädagogik gewesen ist,
stellte man nunmehr das Bild des friedenspolitisch handelnden Menschen
in den Mittelpunkt. Dem Leitbild des friedensfähigen Menschen ent-
sprachen die friedenspädagogischen Bemühungen um nicht-aggressives Ver-
halten, friedliche Konfliktlösungen, die Abwehr von Kriegsspielzeug oder
Action-Filmen. Prototypisch hierfür sind die Unterrichtsmaterialien von
Wolf-Dieter Zimmermann "Friedenserziehung & Aggression" beim Verlag an
der Ruhr Mülheim an der Ruhr (Postfach 102251). Dem Leitbild des
friedenspolitisch handelnden Menschen entsprach ein selbstbewußt han-
delnder politischer Jugendlicher, der ausländerfreundlich ist, sich für
die Dritte Welt engagiert, die (ökologische) Zerstörung des Lebens und
der Natur als eine Art Krieg interpretiert und wach gegenüber der
Entstellung von Wirklichkeit durch die Massenmedien ist.
Diese friedenspädagogische Wende wurde vorbereitet durch Bücher wie "Zur
Psychologie des Friedens" von Horts-Eberhard Richter (1982) oder
"Richtige Angst und falsche Furcht. Psychologische Friedensvorbereitung
und der Beitrag der Pädagogik" von Franz-Josef Ensel (1984) und dann vom
Verein für Friedenspädagogik Tübingen auf Tagungen und Kongressen weiter-
bearbeitet. 1985 brachte dieser Verein eine 170 Seiten umfassende Litera-
turübersicht zur Friedenserziehung heraus! Einen gewissen Abschluß fand
dieser Diskussionsprozeß mit der Internationalen Friedenspädagogischen
Konferenz 13./14.6.1986 der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in
Frankfurt, auf der die GEW ihre "11 Thesen zur Friedenserziehung"
formuliert hat. Ich nenne hier in Stichworten den Inhalt dieser Thesen:
SchülerInnen sollen lernen, sich aktiv für den Frieden einzusetzen.
Fähigkeit zu Toleranz und Kompromiß; historische Bildung über Ursachen
und Folgen von Kriegen; gegen Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus,
Rassismus; Einsatz gegen Hochrüstung und für die Probleme der Dritten
Welt; internationale Solidarität; für soziale Gerechtigkeit im eignen
Land; gegen Heldentum, Chauvinismus, Gewaltverherrlichung in den Medien;
gegen aggressive Sprache und Umgangsformen in Sport, Politik usw.;
Unterricht ohne Indoktrination; politisches Engagement der LehrerInnen.
Auf eine einfache didaktische Formel gebracht lautet die aktuelle Posi-
tion der Friedenspädagogik:Ziel von Friedenspädagogik ist es, die SchülerInnen zu friedenspolit-
ischer Tätigkeit zu motivieren und sie zu friedenspolitischem Handeln zu
befähigen.Beides geschieht in einem didaktischen Dreischritt:
- Informationsvermittlung, Aufklärung,
- Betroffenheit und Selbstreflexion,
- Motivation zu friedenspolitischer Tätigkeit und Befähigung zu
friedenspolitischem Handeln.
2. Gibt es einen spezifischen Beitrag des Musikunterrichts zur Friedenserziehung?
Auf dem Hintergrund der friedenspädagogischen Diskussion habe ich in
meinen einschlägigen Publikationen immer wieder nach dem spezifischen
Beitrag des Musikunterrichts zur Friedenserziehung gefragt. Ich hatte
festgestellt, daß die durchgängige Begründung für "Friedenserziehung im
Musikunterricht" unspezifisch war, das heißt ungefähr so lautete: Frie-
denserziehung ist in jedem Falle gut und wichtig, also auch im bzw. für
den Musikunterricht! Und ich war der Meinung, daß die Zurückhaltung der
Musikpädagogik gegenüber Friedenserziehung in dieser nicht-spezifischen
Begründung zu suchen ist (was wiederum Ausdruck anderer Faktoren sein
kann).Der spezifische Beitrag des Musikunterrichts kann, so meine These (STROH
1988), darin bestehen, daß er ein ganz zentrales Problem der Friedenspä-
dagogik relativ effektiv angehen kann: das Problem der
Angstverarbeitung. Im obigen Dreischritt ist ja immer die Frage, wie man
im Unterricht von der 1. Stufe der Informationsvermittlung und Auf-
klärung auf die 2. Stufe der Betroffenheit und Selbstreflexion gelangt
(was wiederum Voraussetzung zur Erreichung des Ziels auf der 3. Stufe
ist). Die allgemeine Friedensforschung hat diese Frage immer in Ver-
bindung mit der Angstverarbeitung gebracht und festgestellt, daß aus
derselben Information deshalb unterschiedliche friedenspolitische Hand-
lungen abgeleitet werden, weil Informationen angsterregend sind und die
Menschen mit diesen Ängsten unterschiedlich umgehen. Wenn beispielsweise
Biermann/Biermann 1988 empirisch festgestellt haben, daß Kinder über
weltpolitische Zusammenhänge oft besser Bescheid wissen als Erwachsene,
so liegt das nicht daran, daß Kinder mehr wissen als Erwachsene, sondern
daß sie mit Wissen anders umgehen als Erwachsene.
Es ist der Friedenspädagogik klar geworden, daß sie nicht nur In-
formationen vermitteln, sondern auch irgendwie mit den Ängsten umgehen
muß, die diese Informationen auslösen. Daher bietet es sich an, im
Musikunterricht ein Schwergewicht auf die Frage, wie Menschen mit und
durch Musik Ängste verarbeiten, zu legen, weil Musik unzweifelhaft ein
ganz wichtiges Mittel der Angstverarbeitung ist: ob man an das Kind
denkt, das im Dunkeln singt, oder an den Soldaten, der mit Marschmusik
in den Krieg zieht... Ich muß heute, im Januar 1991, diese Überlegungen
der 80er Jahre etwas modifizieren. Im vergangenen Jahrzehnt ging es vor
allem darum, auf eine nicht direkt sichtbare Bedrohung (ein äußerlich
sehr sauber aussehendes Kernkraftwerk, einen millimetergenau arbeitender
Marschflugkörper usw.) mit einer angemessenen psychischen Reaktion
("richtige Angst") zu reagieren. Oft führte ja bei Kindern und Er-
wachsenen die Vorstellung solcherart Gefahren entweder zu "neurotischer
Angstlosigkeit" (ENSEL 1984), oder aber zu angsterzeugter, politischer
Lähmung und psychischer Depression. Angstverarbeitung durch Musik spiel-
te sich daher immer auf der durchgängigen Problematik "Angstlosigkeit
durch Verdrängung usw. oder Lähmung durch Angst" ab. Anfang 1991 hat
sich dieser Zustand qualitativ geändert: aus den unsichtbaren und rela-
tiv abstrakten Bedrohungen sind ganz konkrete Gefahren geworden, die
auch eine totale Medienzensur der kriegführenden Parteien nicht ver-
tuschen konnte.Es gab mehrere groß angelegte Untersuchungen zum Thema "Kriegsangst bei
Kindern" (BÜTTNER 1982; BIERMANN/BIERMANN 1988; siehe auch BÖHM 1989),
aus denen ich einen ganz wichtigen Gedankengang zitieren möchte, weil er
für den Musikunterricht bedeutsam ist: Kriegsspielzeug, Action-Filme und
brutale Bilder in (Musik-)Videos können eine Form von kindlich-jugend-
licher Angstverarbeitung sein! Es wird daher in Frage gestellt, ob
Kindern und Jugendlichen der Umgang mit diesen Spielzeugen und Medien-
produkten verboten werden kann und soll. Im Falle der musikrelevanten
Medien wird vielmehr zur medienpädagogischen Position geraten: nicht
Medienenthaltsamkeit, sondern die Einbettung des Medienkonsums in Kom-
munikationsprozesse anderer Art - innerhalb der Familie, unter Jugend-
lichen und Kindern, in der Schule (Vgl. Artikel "Medienpädagogik" in
MÜLLER-ROLLI 1988).
3. Übersicht über vorliegende Unterrichtsmaterialien zum Musikunterricht
Die Musikpädagogik hat folgende Unterrichtsmaterialien zur Friedenserziehung im Musikunterricht zustande gebracht:
Peter RÖHRS: Der Friedenskanon. Eine UE, durchgeführt mit der Klasse 6e
der OS Bersenbrück, in: Populäre Musik im Unterricht 4/1982, S. 24-26.
Manfred SIEVRITTS: Kriegs- und Friedenslieder, in: DERS.: "Politisch
Lied, ein garstig Lied?", capella Wiesbaden 1984, S. 455-580 des Lehrer-
bandes. [Medienpaket mit Schülerband und 6 Platten.]
Martin GECK, Bert MAROHL, Karin PILNITZ, Wolfgang Martin STROH: Krieg
und Frieden. Materialien für die Sekundarstufen, Witten/Stuttgart 1984.
[Auslieferung jetzt durch den Verlag an der Ruhr, Postfach 102251, 4330
Mülheim/Ruhr. Mit Toncassette.]
Wolfgang KOPERSKI: Lieder vom Frieden, in: Musik und Bildung 10/85, S.
673-677.
Peter RÖBKE: Friedenslieder für Kinder. Ein Beitrag zur Friedenserzie-
hung?, in: Musik und Bildung 10/85, S. 668-672.
Wolfgang Martin STROH: Musik und Angst - Begründung eines neuen Ansatzes
von Friedenserziehung im Musikunterricht, in: Zeitschrift für Musik-
pädagogik 43/1988, S. 26-36.
Eva RIEGER: Friedenserziehung im Musikunterricht, Bosse-Verlag Regens-
burg 1988. [Mit Toncassette.]
Wolfgang Martin STROH: "Vater komm erzähl vom Krieg!" in: Musik und
Bildung 11/1989, S. 609-614.
Ich versuche im folgenden einen themenbezogenen Überblick über Inhalte
und Methoden, die diese Materialien enthalten.
Themenkreis: Kunstmusik
Am ausführlichsten setzen sich RIEGER und GECK mit den Zusammenhängen
von Kunstmusik, Krieg und Frieden auseinander. Bei RIEGER werden zahl-
reiche Beispiele für militaristische Züge in der Kunstmusik, aber auch
von Versuchen, Friedenssehnsucht auszudrücken, genannt. Interessant sind
diverse Soldatenchöre aus romantischen Opern, die Kriegsverniedlichung
in barocker Tonmalerei, Militärmärsche bei fast allen kleinen und großen
Komponisten. Etwa zur Hälfte bringt RIEGER Beispiele engagierter Anti-
Kriegs-Musik (Nono, Schönberg, Henze, Schostakowitsch, Weill). Hervorzu-
heben ist eine Komposition "Nachklänge für präpariertes Klavier" von
Ruth Schonnthal. Fazit: eine umfangreiche Materialsammlung zu diesem
Thema. Der von Martin GECK selbst geschriebene Abschnitt "Kunstmusik des 19.
und 20. Jahrhunderts" in den Materialien von GECK u.a. bringt Anregungen
zur Frage des Heldischen und Heroischen in der Kunstmusik (Beethoven).
Ergänzend müßte mann hier noch ein Kapitel aus dem Buch "Frau Musik &
Männerherrschaft" von Eva RIEGER hinzuziehen, in dem der kunstmusikali-
sche Heroenkult ungemein prägnant analysiert ist (RIEGER 21988, Kap.
II). Es ist sehr zu bedauern, daß Eva RIEGER in ihrem Buch über
Friedenserziehung den von ihr selbst bereits 1982 aufgegriffenen Zu-
sammenhang nicht unterrichtswirksam weiterverfolgt hat. Mit Bezug auf
den deutschen Super-Hero möchte ich auf das soeben erschienene Buch
"Geschrieben auf Bonaparte. Beethovens 'Eroica': Revolution, Reaktion,
Rezeption" von Martin GECK und Peter SCHLEUNING (rororo 8568) hinweisen,
in dem eine provozierende und ungemein unterhaltsame Auseinandersetzung
stattfindet. (Und darf ich noch an den Hit "We don't need another hero"
von Tina Turner erinnern?)RIEGER entwickelt in ihrem Buch 1987 die meines Erachtens zur Zeit am
weitesten entwickelten Positionen zur Friedenserziehung im Bereich Kunst-
musik. Diese lauten: (1) Musikgeschichte soll sozialhistorisch be-
trachtet werden, wobei dann die gesellschaftliche und politische Funk-
tion der Musik thematisiert wird. (2) Die sozialhistorische Betrachtung
muß erweitert werden durch eine Art "psychologischer Aufklärung". Es
soll erörtert werden, daß und wie Musik "physiologisch, psychologisch
und ideologisch wirken kann" (S. 16). Die direkte Wirkung auf die Sinne
(z.B. Marschmusik) wird ergänzt durch das Hervorrufen "kultureller
Muster". (3) Diese Betrachtung von Musik wird notwendigerweise Wider-
sprüche provozieren, die selbst wiederum zu bearbeiten sind. Musik soll
zu offenen Diskussionen anregen.
Themenkreis: Lieder
Den weitaus größten Teil der Unterrichtsmaterialien nehmen Lieder ein.
Entsprechend sind die friedenpädagogischen Methoden weitgehend denjeni-
gen der Lied-Didaktik entnommen (am deutlichsten bei SIEVRITTS). Themati-
siert werden1. Soldaten- und Kriegslieder,
2. Friedenslieder, insbesondere Lieder der Friedensbewegung,
3. das Singen (z.B. im 1. Weltkrieg, in der Bundeswehr).
BÖRS, KOPERSKI und SIEVRITTS verwenden bei ihrer sozialhistorisch aus-
gerichteten Lied-Didaktik eine gewisse Rangordnung der "Komponenten":
primär ist der Liedtext und die daraus abgeleitete Intention, sekundär
der historische und politische Entstehungszusammenhang, tertiär die Melo-
die und quartär der Verwendungszusammenhang (das Singen selbst). Ich
skizziere kurz die drei genannten Unterrichtseinheiten:
BÖRS geht vom Kanon "Nach dieser Erde wäre da keine" aus, der in der
Friedensbewegung außerordentlich beliebt ist, obgleich sein Text an
Verschlungenheit nicht zu überbieten ist. Nach einer Art "Verpoppung"
des Kanons zieht BÖRS die Kreise immer weiter und gelangt zum 137.
Psalm, zu den "Rivers of Babylon" und Boney M. Hätte sich der Autor
vorstellen können, daß heute by the rivers of Babylon ein mörderischer
Krieg tobt, daß die Israeliten in diesen Krieg involviert sind und daß
am Tag des Kriegsbeginns die BILD-Zeitung schrieb "Jetzt hilft nur noch
beten", während das Fernsehen zehntausende betender Juden vor der Klage-
mauer und tausende Moslems betend in der Wüste zeigt?
Eine vollständige, sofort benutzbare Einheit legt KOPERSKI vor. Er gibt
eine Reihe handlungsorientierter Vorschläge zu folgenden Liedern: "Du
Friedensfürst, Herr Jesu Christ" (Kirchentag 1983) und "Herr, gib uns
Frieden", "Sodaten-Lied" von Erich Mühsam (1916) und "We shall over-
come". Wer diese Einheit aufgreifen möchte, sei noch an Wolf Biermanns
Lied "Soldat, Soldat", das in der Friedensbewegung viel gesungen wurde,
erinnert: Ein sehr eindrucksvoll-knapper Text wird auf eine gestraffte
Melodievariante des Soldaten-Lieds von 1916 gesungen. Das
Lied ist erstmals 1965 bei Anti-Kriegs-Aktionen in der BRD von Biermann
vorgetragen worden und hat die "Biermann-Kampagne" der DDR gegenüber dem
linken Liedermacher eingeleitet (näheres hierzu in: GECK u.a.).
(Notenbeispiel 1!)
SIEVRITTS' Kapitel "Kriegs- und Friedenslieder" umfaßt 130 Seiten seiner
"Didaktik des politischen Liedes". Alle nur denkbaren Themen sind an-
gesprochen und mit Zitaten belegt, sodaß die MusiklehrerInnen gut aus-
gestattet sich allen Diskussionen stellen können. (Beispiele:"Schwerter
zu Pflugscharen!", "War Jesus ein politischer Spinner?", "Gibt es ge-
rechte Kriege?") Der didaktische Ansatz besteht darin, daß politisch
schwierige Positionen durch Gegenüberstellung extremer Standpunkte und
Musikbeispiele wertneutral präsentiert werden sollen. Zudem wird der
Begriff des Liedes enorm erweitert. Im ersten Themenkreis "Soldatenleben
- Soldatentod" kommen folgende Stücke vor: "Wenn die Soldaten durch die
Stadt marschieren", gespielt von einer Bundeswehrkapelle, Biermanns
"Soldat, Soldat", "Revelge" aus Gustav Mahlers "Sieben letzten Liedern",
Brechts "Legende vom Soldaten", gesungen von Ernst Busch, "Marschieren"
von Johannes Brahms, "Lili Marleen" und einige nationalsozialistische
Soldatenlieder. - Das Buch ist, auch aufgrund der zahlreichen Ab-
bildungen, des Schülerbandes und der 6 LPs, eine Fundgrube sonderglei-
chen.Der dritte Aspekt der Lied-Didaktik, die Erprobung und Reflexion des
Liedersingens selbst, ist noch wenig entwickelt. RÖBKE erwähnt nur
relativ kurz den Aspekt "Lieder anders singen!", womit die Frage an-
gesprochen ist, daß und wie die Singhaltung Wirkung und Funktion von
Liedern ausdrückt und beeinflußt. Ich selbst habe in den Materialien
GECK u.a. einen Beitrag zum "Singen in der Bundeswehr" geschrieben, sehe
diese Gedanken aber nur als einen allerersten Anfang.
Themenkreis: Musik und Angst
RÖBKE skizziert in seiner Unterrichtseinheit über die sozialhistorische
Lied-Didaktik hinausweisende Ansätze: "Lieder anders singen" (s.o.),
"interkulturelle Musikerziehung" (s.u.), "Lieder über Nähe und Zärtlich-
keit" und "Kinderlieder und Kinderängste". Mit den beiden letztgenannten
Themen überschreitet RÖBKE das Terrain der rein-politischen Friedenspäda-
gogik und begibt sich auf eine für die Musik überaus wichtige psychologi-
sche Ebene. Das von ihm zitierte Kinderlied handelt von Einsamkeit und
Trennungsängsten bei Kindern im Krieg. (Aufgrund einer Londoner Un-
tersuchung von Anna Freud im 2. Weltkrieg gilt die These als bewiesen,
daß Kriegsangst bei Kleinkindern primär Trennungsangst sei.) Es ist dem
Buch "Das Buch mit dem Friedensmaler" von Fredrik VAHLE (siehe unten:
"pläne"-Verlag) entnommen, in dem zahlreiche Kinderlieder aus aller Welt
mit Texten, Bildern, Berichten und Arbeitsanregungen versammelt sind.
Die Lieder enthalten für mich zwar einen ziemlich penetranten Zeige-
finger politpädagogischer Art, kommen aber (dennoch?) bei Kindern oft
sehr gut an. Die Lieder gibt es auch alle auf Platte (pläne: "Der
Spatz", "Der Fuchs", "Der Friedensmaler", "Der Elefant".)
Wie schon erwähnt, habe ich 1988 und 1989 zwei Aufsätze zum Thema
"Angstverarbeitung durch Musik" als Beitrag zur Friedenserziehung ver-
öffentlicht. In "Musik und Angst" 1988 habe ich neben einigen Schlagern
die Titel "angst" von Herbert Grönemeyer, "Russians" von Sting und
"Russischer Reggae" von Nina Hagen besprochen. Eine ausführlichere Aus-
einandersetzung mit Stings "Russians" habe ich unter dem Aspekt
"Vorstellungen vom Bösen" publiziert (STROH 1988/2); ich weise auf
diesen 1987 an vier amerikanischen Universitäten gegen Reagans Feindbil-
der gehaltenen Vortrag deshalb hin, weil auch im Golfkrieg von beiden
Seiten mit den Kategorien des Guten und Bösen, des Welterlösers und
Satans operiert wird."Vater komm erzähl vom Krieg!" (STROH 1989) ist eine unmittelbar um-
setzbare Unterrichtseinheit, die von einem Gedicht Jandls ausgeht, die
musikpraktische Aneignung des Gedichtinhaltes als Ausgangspunkt eines
Lernprozesses nimmt, in dessen Verlauf kunstmusikalische Bearbeitungen
zu Gehör kommen. Da die hierbei verwendeten Hörbeispiele nicht mehr
zugänglich sind, sind sie als Hörbeispiel auf der Begleitcassette dieser
Zeitschrift wiedergegeben.
Vater komm erzähl vom Krieg
Vater komm erzähl wiest eingrückt bist
Vater komm erzähl wiest gschossen hast
Vater komm erzähl wiest verwundt worden bist
Vater komm erzähl wiest gfallen bist
Vater komm erzähl vom Krieg
Einen anderen Vorschlag, die Phänomene Angst, Trauer und Agression
anhand eines Musikstücks von Udo Lindenberg zu thematisieren, habe ich
in der Materialsammlung von GECK u.a. unternommen. Das dort besprochene
(nachspielbare!) "Grande Finale" ist ein überzeichneter, apokalyptischer
Tanz auf dem atomar gerüsteten Erdball.
Themenkreis: Popularmusik
Die Frage, wie populäre Musik Kriegsängste und Friedenssehnsucht auf-
greift, thematisiert und gegebenenfalls umlenkt, ist noch gar nicht
hinreichend untersucht worden, weshalb es auch nur verstreute Un-
terrichtsmaterialien zu dieser eigentlich wichtigen Thematik gibt. Ganz
unsystematisch nenne ich einige mir bekannte Ansätze und
Blickrichtungen:Sabine SCHUTTE hat für die Sekundarstufe II bei Metzler Un-
terrichtsmaterialien "Zur politischen und sozialen Funktion von Marsch-
und Tanzmusik" (SCHUTTE 1988) vorgelegt, in der ein differenzierter
Bogen von Preußens Gloria bis zur Tanzmusik der "goldenen Zwanziger"
gespannt wird. Bert MAROHL und Karin PILNITZ stellen im Kapitel "Lieder
im Krieg" der Materialien GECK u.a. diverse Kriegsschlager vor. Da
anzunehmen ist, daß im Augenblick ähnliche Kriegs-Schlager auf den Markt
kommen werden (von Johnny Cash soll bereits ein patriotisches Golfkriegs-
lied in Umlauf sein - Stand 25.1.1991), ist das Lili-Marleen-Phänomen
keineswges nur von historischem Interesse. Karin PILNITZ setzt sich in den Materialien von GECK u.a. mit Nicol's
Erfolgsschlager "Ein bißchen Frieden" von 1982 auseinander. Erwähnt sei
in diesem Zusammenhang, daß die Produzenten dieses Euro-Hits, Ralph
Siegel und Bernd Meinunger, 1987 mit Nicole einen inhaltsgleichen "Song
for the world" als Flop produziert haben und im selben Jahr einen
"Frieden für die Teddybären" herausbrachten. In allen drei Liedern ist
übrigens von Angst und Angstverarbeitung die Rede:"Ich singe aus Angst vor dem Dunkel mein Lied,
und spür, daß der Sturm beginnt." (Nicol 1982)"Let us sing our fears away and together we will stay
Hand in hand, so we will survive." (Nicol 1987)"Frieden für die Teddybären, sie können sich doch gar nicht wehren,
sie sind für sowas nicht gemacht,
und die Angst ist kein Freund in der stillen Nacht." (Siegel 1987)
Beim Thema "Sturm" sei an den Kanon "Wehrt Euch, leistet Widerstand"
erinnert, der in der Friedensbewegung viel gesungen wird und in zahlrei-
chen Varianten auch die Anti-Kriegs-Demonstrationen der letzten Wochen
begleitet hat. Der Kanon lautet Wehrt Euch, leistet Widerstand
gegen [das Kernkraftwerk, die Pressezensur, die Bullerei, die Army,
die Muni-Transporte usw.] hier im Land,
schließt Euch fest zusammen,
schließt Euch fest zusammen.oderWehrt Euch, desertiert,
daß Ihr nicht in Golf marschiert [am Golf krepiert],
schließt Euch...(Flugblatt vom 14.1.1991)
Als "Hejo! Spannt den Wagen an!" ist dies Lied in vielen Lieder- und
Musikbüchern zu finden. Das Lied ist aber nicht unumstritten: es läßt
bei älteren BürgerInnen aufgrund seines Entstehungs- und Ver-
wendungszusammenhangs Assoziationen an HJ, Nazis und Arbeitslager auf-
kommen; darüberhinaus ist die Thematik "Spann den Wagen an, Seht, der
Wind treibt Regen übers Land, holt die goldnen Garben" nicht bloß ein
uraltes Problem der Landwirtschaft, sondern auch nordisch-trutziges Sym-
bol für die Vorkehrungen vor herrannahenedem Kriegssturm. Es fällt auf,
daß Nicol 1982 in ihrem Schlager auch "spürte, daß der Sturm beginnt".
Die Bedeutung der Popularmusik für die Zeit des Vietnamkriegs ist
unumstritten. Vergleiche zwischen Golf- und Vietnamkrieg drängen sich
auf. Bush selbst hat immer wieder das amerikanische Volk daran erinnern
müssen, daß der Golfkrieg kein zweites Vietnam werden wird. Am Fernsehen
sieht man dennoch wie vor 20 Jahren Amerikaner, die die US-Flagge
demonstrativ verbrennen. Jimi Hendrix "Star Spangled Banner", eine äu-
ßerst kunstvolle Verarbeitung der US-Hymne auf dem Woodstock-Festival
1969, war eine symbolische Flaggenverbrennung. (Transskription bei REB-
SCHER 1973, wo auch der Anti-Vietnam-Rag von Country Joe and the Fish
aufgeschrieben und übersetzt ist.) Viele klassiche Friedenslieder, die
mit Namen wie Pete Seeger, Bob Dylan, Joan Baez verbunden sind, sind in
jenen Jahren entstanden oder reaktiviert worden: "Where have all the
flowers gone"?,"The Universal soldier","We shall overcome","Blowing in
the wind", "What have they done to the rain"? usw.
Die US-amerikanische Tradition der politischen Popularmusik hatte natür-
lich auch in Deutschland Auswirkungen, allerdings kaum für die Friedens-
bewegung, die fest in Händen der LiedermacherInnen lag. (Die Anti-Atom-
Bewegung hatte zunächst auch ideologische Probleme mit elektrischer
Musik.) Immerhin sind den (holländischen) Bots mit Liedbearbeitungen
"Das weiche Wasser bricht den Stein" oder "Aufsteh'n!"
rockmusikalische Hits der Friedensbewegung gelungen. Griffige Un-
terrichtsmaterialien zu den sicherlich reichhaltigen Querverbindungen
von aktueller Rockmusik und Friedensbewegung, gibt es meines Wissens
nicht. Spontan möchte ich drei diskussionswürdige kommerzielle Titel
nennen: "19" von Paul Hardcastle (über den Vietnamkrieg), "The War Song"
von Culture Club, "Wozu sind denn Kriege da? " von Udo Lindenberg.
4. Thematische Vorschläge zur Friedenserziehung
Im folgenden versuche ich noch Themen und einige Stichworte zur Frie-
denserziehung im Musikunterricht 1991 zusammenzustellen, die über die
bisher zitierte Literatur hinausgehen. Der größte Teil dieser Themen ist
in den vergangenen Wochen von MusiklehrerInnen unterrichtet worden, die
ich gefragt habe: Was haben Sie seit dem 7.1.91 im Musikunterricht getan?
Anti-Kriegslieder im 1. und 2. Weltkrieg
Materialien hierzu liefert das glücklicherweise noch erhältliche Fi-
scher-Taschenbuch 2981 "Friedenslieder!" von Alexander LIPPING und Björn
GRABENDORFF. In diesem Buch sind Lieder, Bilder und Texte zu Anti-
Kriegsliedern aus der Zeit des 1. Weltkriegs und der Weimarer Republik
(von Erich Mühsam, Kurt Tucholsky u.a.) und Lieder der Ostermarsch-
Bewegung der 60er Jahre zusammengestellt. Weitere Materialien in SIEV-
RITTS. Interessant ist, daß sich mehrere Lieder der Weimarer Zeit auch
mit der Produktion und dem Verbot chemischer und biologischer Waffen
auseinandersetzen.
Die Friedensbewegung in der USA während des Vietnamkrieges
In Verbindung mit dem Woodstock-Film (bzw. der Woodstock-Platte) kann
die Zeit von "Love and Peace" besprochen werden. Es dürfte nicht schwer
fallen, die Analogien zwischen damals und heute zu sehen - und die
Tatsache, daß der Vietnamkrieg letztlich aufgrund der großen (auch
musikalisch stabilisierten) Ausdauer der US-Friedensbewegung abgebrochen
werden mußte, kann heute Mut machen. Materialien zu Woodstock in allen
Rockmusik-Geschichtsbüchern, bei REBSCHER 1973 und anderen.
Die Friedens- und Anti-Atom-Bewegung in der BRD der 80er Jahre
Als Standardwerk dieser Bewegung gilt das Buch "Alte und neue politische
Lieder" von Walter MOSSMANN und Peter SCHLEUNING (rororo 7159), das
leider zur Zeit vergriffen ist. Viele Anti-Atomkraft-Lieder haben sich
aus "Szene"-Liederbücher in "Student für Europa" hinübergerettet (siehe
unten). Die Doppel-LP "WAAHNSINN" vom WAAhnsinns-Festival am 26.-27.7.86
in Burglengenfeld bei Wackersdorf spiegelt auch in der Thematik der
Lieder und Stücke das gesamte inhaltliche Spektrum der Bewegung wider.
Dies Rockmusik-Festival kann in vieler Beziehung mit Woodstock ver-
glichen werden. (Vgl. dazu auch STROH 1988.) Wichtige Liedermacher
dieser Bewegung waren Walter MOSSMANN und Wolf BIERMANN. Von beiden gibt
es mehrere Liederbücher noch im Buchhandel.
Begriffe wie Völkerverständigung spielen im Rahmen von Festtagsreden zum
Thema Frieden eine große Rolle. Konkret beginnt diese Völkerverständi-
gung in den meisten Klassenzimmern beim Umgang der deutschen mit den
ausländischen Kindern. Interkulturelle Musikerziehung ist daher ein un-
mittelbarer Beitrag zur Friedenserziehung. In "Student für Europa" und
den meisten Schulbüchern finden sich heute Lieder ausländischer Mit-
bürgerInnen unseres Landes. Irmgard MERKT hat die türkische Musik für
den deutschen Musikunterricht erschlossen (MERKT 1985). Im bereits er-
wähnten Buch "Der Friedensmaler" von Frederik VAHLE finden sich überwie-
gend (Friedens-) Lieder von und über Kinder aus der ganzen Welt.
Musikalische Improvisation und Komposition
Verstreut gibt es Vorschläge, die SchülerInnen mit musikproduktiven
Mitteln an Themen der Friedenserziehung heranzuführen: bei RIEGER 1987
(Seite 90-94: "Angst-Collage", Sprachspiele, Text-, Bildvertonung) und
bei STROH 1989 (Vertonung eines Gedichts). Hansjürgen FEURICH hat mit
den Mittel von Wolfgang ROSCHERs Polyästhetischer Erziehung "Krieg und
ästheische Erfahrung" bearbeitet (ROSCHER 1973, S.239-248) und auch bei
Walter KOHLMANNs "Projekten im Musikunterricht" findet man Gruppen-
improvisationen zum Thema Krieg (KOHLMANN 1978, S.85-88).
Medienpädagogische Aspekte
Am 21.1.91 ließ dpa verlauten, die Zensur der Nach-
richtenberichterstattung im Golfkrieg sei dadurch begründet, daß die USA
den Eindruck eines "sauberen Kriegs, in dem ausschließlich militärische
Ziele bekämpft würden" erwecken möchte und damit die Konsequenzen aus
dem Vietnam-Krieg gezogen habe, von dem zuviele Bilder des Grauens und
der Zerstörung um die Welt gingen. Ein Journalist bringt die Be-
richterstattung auf den Punkt: die Amerikaner wollen die Kriegsbericht-
erstattung so inszenieren, daß sie wie ein spannender Kriegs- oder
Science-Fiction-Film konsumiert und genossen werden kann.
Aus diesem wohl kaum zu beeinflussenden Sachverhalt erwachsen wichtige
medienpolitische Aufgaben im Rahmen der Friedenserziehung. Da der Aus-
gangspunkt der Friedenserziehung Informationsvermittlung und Aufklärung
ist, ist ein notwendiges Teilziel von Friedenserziehung die Fähigkeit,
den Medien die "richtige" Information entnehmen zu können. Dazu gehört
nicht allein, das Verschwiegene zu erahnen, sondern auch, die den
gezeigten Bildern angemessene Betroffenheit zu entwickeln. Eine Übung
hierzu kann "Improvisation zu Bildern" sein: dabei werden (1) einzelne
Bilder lange und intensiv angeschaut, (2) wird auf Bilder emotional (und
mit musikalischen Mitteln) reagiert und wird (3) nonverbal über Bildin-
halte kommuniziert. Alle diese drei Fähigkeiten können nicht oft genug
trainiert werden -- und solche Übungen erscheinen mir heute ein un-
mittelbarer Beitrag zur Friedenserziehung zu sein.
5. Liederbücher und Literaturhinweise
* A. LIPPING/B. GRABENDORFF: Friedenslieder, Fischer-Taschenbuch 2981
Von den vielen Friedensliederbüchern, die in den 80er Jahrebn in Umlauf
waren, sind 1991 nur noch dies Fischer-Taschenbuch im Buchhandel er-
hältlich. Das Buch enthält historisch interessante Lieder, aber wenig
Lieder, die heute in Umlauf sind.*
AGDF: Liederbuch für Friedensdienste110 der wirklich bekanntesten Friedenslieder hat 1982 die Aktionsgemein-
schaft Dienst für den Frieden zusammengestellt. Dies Buch ist über 50
000 Mal verkauft worden und spiegelt meines Erachtens sehr genau die
deutsche Friedensbewegung wider. Restexemplare können direkt bei der
AGDF, 0228/229192 bestellt werden.
* "Student für Europa" , 7 Liederbücher, (jetzt:) Bund-Verlag KölnDie Liederbücher des Bund-Verlags enthalten alle "Renner" aus der Kin-
der- und Jugendarbeit und werden auch von MusiklehrerInnen gerne be-
nutzt. Bei diesen Liedern kann man davon ausgehen, daß sie abgehen.
Jeder Band der Reihe, die seit 1974 erscheint, hat einen eignen Titel.
Bestellungen: Bund-Verlag, Postfach 90 08 40, Köln. Im folgenden stelle
ich alle in diesen Büchern verstreut vorkommenden Anti-Kriegs- und
Friedenslieder zusammen:
1. "Liederbuch" (seit 1974)60 Blowing in the wind (Bob Dylan), 66 Eve of destruction (Barry
McGuire), 75 Hewenu shalom alejchem (jüdischer Kanon), 109 Soldat,
Soldat (Biermann), 117 Universal soldier (B. Sainte-Marie), 125: We
shall overcome (trad. Spiritual), 127 What have they done to the rain
(M. Reynolds), 131 Sag mir, wo die Blumen sind (Pete Seeger).
2. "Liederkiste" (seit 1977)4 Zogen einst fünf wilde Schwäne (Volkslied), 43 Wo soll ich mich
hinwenden (Soldatenlied 1830).3. "Liederkarren" (seit 1979)46 Es geht ein dunkle Wolk herein (1646), 50 Oh König von Preußen
(Soldaten-Spottlied), 51 Unser Leben gleicht einer Reise - Beresinalied
(Schweiz, 1812), 69 Dona nobis pacem (Kanon), 78 Le Deserteur (Boris
Vian und Harold Berg).4. "Liedercircus" (seit 1982)30 Wer jetzig Zeiten leben will (17. Jhd.), 31 Folget nicht der Trommel
Ton (trad.), 32 Ich bin Soldat (Soldatenlied um 1870), 33 Und als der
nächste Krieg begann (Kästner/Koster), 34 Sollt in Friedenleben (Kanon
von Hanns Eisler), 35 Par la colombe (Georges Moustaki), 36 Man wollte
Deutschland nach dem Krieg (Anke Fibiger 1981),37 Der Frieden ist ein
kleines Kind (Angi Domday), 41 Schtil, di Nacht is ojysgeschternt
(jiddisches Lied gegen die deutschen Faschisten, 1941), 91 We are the
children (Joan Baez). 5. "Liederkorb" (1983)2 Friedenslied aus Aserbadjzan, 34 An den Wassern von Babylon (137.
Psalm, Phil Hayes), 35 By the waters of Babylon (Dom McLean), 36 Nach
dieser Erde (Friedenskanon), 37 Das weiche Wasser (bots, Text Hilde-
brandt/Hüsch/Walraff/Lerryn), 41 Mein Vater wird gesucht (Lied aus dem
2. Weltkrieg), 42 Lied der Mutter Courage (Brecht, franz. Melodie), 43
Last night I had the strangest dream (Ed McCurdy), 46 Been on the road
(Alex Cambell), 48 Ein schönes Lied (auf Vietnamkrieg, F.-J. Degen-
hardt).6. "Liederbaum" (1984)27 Come you masters of war (Bob Dylan), 28 An die Herren der Kriege (dt.
Übersetzung), 35 Friedenslied (Brecht/Eisler), 72 There is a song of
peace (aus Indonesien), 78 Little Tin Soldier (Shawn Phillips), 88 Gra-
cias a la vida (Violetta Para - ein Lied an das Leben/gegen das Sterben).7.
"Liederwolke" (1986)31 Ballade vom Panzersoldat und vom Mädchen (W. Biermann), 32 Solange
Männer Frauen schlagen (Gerd Schinkel), 34 Jeder Teil dieser Erde
(Kanon, Vesper/Smith), 35 Frieden schaffen ohne Waffen (Jens Rohwer), 36
Wenn die Winde wehen (Jens Rohwer), 37 Shalom Chaverim (aus Israel:
Friede sei mit Euch), 38 Arbetslose-Marsch (jiddisches Lied zum
"sozialen Frieden"), 82 Tsen Brider (jiddisch).8. "Die Liedersonne"
In Vorbereitung: 9. "Der Liederstern""Die Lieder-Fundgrube" (1986)
Außerhalb der Reihe erschienenes Liederbuch des Bund-Verlags,in der
Friedenslieder musikalisch von Siegfried Macht bearbeitet sind. Text-
und Melodievorlagen reichen von "Maikäfer flieg" über Matthias Claudius,
Konfuzius, Villon und Kästner bis zu Günter Kunert und Peter Hacks.
Zahlreiche Chorsätze und schulgeeignete Arrangements.
* PLatten und Liederbücher des "pläne"-Verlags:Neben dem bereits zitierten "Das Buch mit dem Friedensmaler" von Frede-
rik VAHLE hat der "pläne"-Verlag zahlreiche Liederbücher (u.a. "Wir
wollen Frieden für alle Zeiten" von A. Kettel, 1982) und vor allem
Platten auf den bundesdeutschen Markt gebracht. Die meisten musik-
bezogenen Produkte werden zur Zeit (21.1.1991) vertrieben durch die
"Aktive Musik Verlagsgesellschaft", Bertastr. 9, 4600 Dortmund 72; wei-
tere "pläne"-Produkte beim Patmos-Verlag, Postfach 6213 in 4000 Düssel-
dorf 1. Die "pläne"-Autoren und -MusikerInnen planen zur Zeit die
Gründung eines eigenen, neuen Pläne-Verlags.
Verzeichnis der zitierten Literatur
Renate BIERMANN/Gerd BIERMANN: Die Angst unserer Kinder im Atom
zeitalter, Ffm. 1988 (Fischer Taschenbuch 4280).
Andreas BÖHM u.a.: Angst allein genügt nicht, Weinheim 1989 (Beltz-
Verlag, "psychologie heute"-Taschenbuch).
Christian BÜTTNER: Kriegsangst bei Kindern, München 1982 (Kösel-Verlag).
Franz-Josef ENSEL: Richtige Angst und falsche Furcht. Psychologische
Friedensvorbereitung und der Beitrag der Pädaogik, Ffm. 1984.
Martin GECK und Peter SCHLEUNING: "Geschrieben auf Bonaparte" Beethovens
"Eroica": Revolution, Reaktion, Rezeption, Reinbek 1989 (rororo 8568).G
G
ünther GUGEL: Grundfragen der Friedenserziehung, in: Mit brennender
Ungeduld, hg. von Günther GUGEL und Klaus LANGE-FELDHAHN, Band 1,
Tübingen 1985 (=Publikation des Vereins für Friedenspädagogik).
Walter KOHLMANN: Projekte im Musikunterricht, Weinheim 1978 (Beltz
Verlag).
Irmgard MERKT: Türkische Musik. Arbeitsheft und Toncassette, Stuttgart
1985 (Klett-Verlag).
Sebastian MÜLLER-ROLLI (Hg.): Kulturpädagogik und Kulturarbeit. Grund
lagen, Praxisfelder, Ausbildung ,Weinheim/München 1988 (Juventa-Verlag).
Georg REBSCHER: Materialien zum Unterricht in Popularmusik, Wiesbaden
1973 (Breitkoppf & Härtel) mit Platten.
Eva RIEGER: Frau , Musik und Männer-Herrschaft, Kassel 21988 (Furore-
Verlag).
Wolfgang ROSCHER (Hg.): Polyästhetische Erziehung, Köln 1976 (DuMont-
Verlag).
Sabine SCHUTTE: Die Musik kommt! Zur politischen und sozialen Funktion
von Marsch- und Tanzmusik, Stuttgart 1988 (Metzler-Verlag).
Wolfgang Martin STROH: Die musikalische Verrarbeitung von Vorstellungen
vom Bösen, Oldenburg 1988 (= Oldenburger Vor-Drucke 29/88).
Wolf-Dieter ZIMMERMANN: Friedenserziehung & Aggression, Mühlheim a.d.R.
o.J. [ca. 1983]. Bestellung: Verlag an der Ruhr, Postfach 102251.