Künstlerisch-wissenschaftliche Forschungsvorhaben
Zur Methode allgemein
Gegenstand eines künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhabens ist die
musikalische Tätigkeit von Menschen oder Gruppen (ergänze: und nicht "die Musik").
Mehr zu diesem tätigkeitstheoretischen Ansatz: Aufsatz 1
und Aufsatz 2.
Ein solches Vorhaben steht zwischen
traditioneller Feld- und experimenteller Laborforschung.
Es wird ein künstlerisches
Experiment in einem Feld (d.h. in der Wirklichkeit" des Musikbetriebs)
durchgeführt. Im Gegensatz zum Laborexperiment hat dies Experiment Ernstfallcharakter.
Und im Gegensatz zur Feldforschung wird das zu beforschende Feld (d.h. die musikalische
Tätigkeit) durch das künstlerische Experiment verändert (in Anlehnung an "action research"). Es wird untersucht, wie das
Feld auf ungewöhnliche Bedingungen reagiert. Es wird nicht versucht, den
unberührten Alltag" zu erforschen (was ohnedies ja nie vollständig gelingt). Der Alltag wird vielmehr auf kontrollierte Weise verändert.
Die jedem Experiment eigene Unschärferelation, derzufolge der Forscher den
Forschungsgegenstand umso mehr verändert je exakter" seine Forschung ist, wird
zum Forschungsprogramm gemacht. Der Forschungsgegenstand (die musikalische Tätigkeit)
wird im Hinblick auf seine Veränderbarkeit und nicht statisch untersucht.
Jedes künstlerisch-wissenschaftliche
Forschungsvorhaben ist politisch motiviert und beginnt mit einer künstlerischen und/oder pädagogischen geformten politischen Idee,
die der Praxis entspringt, und einem daraus entwickelten künstlerischen Anfangsprojekt.
Die genaue Forschungsfrage entwickelt sich aus dieser Idee erst während dieses Projekts.
Im weiteren Verlauf wird das künstlerische Projekt zu einem Forschungsvorhaben
(Hypothesenbildung, Forschungsdesign, Durchführung, Evaluation, Interpretation).
Das Vorhaben existiert nicht, weil irgend jemand die
Forschungsfrage gut und unterstützenswert findet, sondern weil sich das künstlerische
Projekt auf dem Musikmarkt und in der jeweiligen Szene durchsetzt. Daher gilt ein
künstlerisch-wissenschaftliches Forschungsvorhaben bei traditionellen Geldgebern (DFG,
Volkswagenstiftung etc.) und bei Traditionsverbänden (DGMPsy, Gesellschaft für
Musikforschung) als unseriös. Dies umso mehr, als die über die üblichen universtären
Ressourcen hinausgehenden Forschungsmittel" in aller Regel aus den ("kommerziellen") Einnahmen
des künstlerischen Projekts bestehen.
Finanzierungsbeispiele:
- Kindercombo: bis zu 4 Lehrkräfte (studentische Hilfskräfte) wurden von den
Eltern der Kinder bezahlt.
- Brain & Body: 36 Konzerte zu je durchschnittlich 1000 DM Honorar. Geld
wurde für die Unkosten und die Investitionen in die interaktive Computertechnologie und
die midifizierte Lichtanlage verwendet.
- MIDI-Planetarium: 77 Geburtshoroskopvertonungen zu je 100 bis 800 DM. Wurde
für den Ausbau des twiskenstudios oldenburg verwendet. Die Konzerte wurden gegen
Standardhonorar durchgeführt.
- "Erstes improvisierendes Streichorchester" finanziert sich als
gemeinnütziger Verein aus Aufträgen und Auftritten und Spenden.
- Die "Szenische Interpretation von Musik und Theater"
wurde in theaterpädagogischen Abteilungen von Opernhäusern
(in zeitlicher Reihenfolge: Stuttgart, Staatsoper Berlin, Komische Oper Berlin, Oper Frankfurt) institutionalisiert.
Ein "Institut" koordiniert diese Aktivitäten.
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Enstanden ist die Methode des
künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhabens in Anlehnung an Hartmut von Hentigs
Forschungsansatz, wie er sich in den Schulprojekten der Universität Bielefeld
verwirklichte: "Schule als Erfahrungsraum". 1973-1978 war ich dort Lehrer und Wissenschaftlicher Mitarbeiter,
Curriculumentwickler, Erprober und Evaluator. - Später hat sich die Konzeption aus
Ausbildungsprojekten (überwiegend in der Einphasigen Lehrerausbildung Oldenburg) weiter etabliert. Der Name stammt
jedoch aus der Bezeichnung von "künstlerisch-wissenschaftlich" für Musik-Kunst-Studiengänge an
Universitäten (in Niedersachsen) und im Zuge der Umbenennung von Musikhochschulen zu "Universitäten"
auch für ganze Hochschulen.
Noch mehr: im Vortrag mit ausführlicher Darstellung des
Konzepts "künstlerisch-wissenschaftliches Forschungsvorhaben" am Beispiel des Oldenburger TechnoMuseums
: Download (pdf).
Die Entwicklung von
didaktischen Konzeptionen erfolgt in Oldenburg...
nach dem bewährten
(traditionellen) Dreischritt der praxisnahen Curriculumentwicklung:
1. Ein theoretischer Ansatz
wird formuliert und bildungspolitisch begründet.
2. Die praktischen
Konsequenzen des Ansatzes werden exemplarisch gezogen: eine Unterrichtseinheit
zu einem konkreten (geeigneten) Thema wird entwickelt.
3. Die Unterrichtseinheit
wird in möglichst vielen Situationen (Schulklassen) erprobt. Diese Erprobungen
werden evaluiert und dokumentiert. Parallel wird die Unterrichtseinheit dem
"Akzeptanztest" von Lehrerfortbilduneng unterzogen. Im optimalen Falle gibt es sodann Rückmeldung der fortgebildeten Lehrer/innen.
Die Unterrichtseinheit
wird publiziert in Verbindung mit der unter 1. entwickelten Theorie. Rein
theoretische Publikationen haben stets unterrichtspraktischen Erfahrungen
zur Basis. Es gibt (bei mir) keine Deduktion von Theorien ausschließlich aus
Theorien und publizierten Abhandlungen ohne empirische überprüfung.
Auf diese Weise zustande
gekommene Unterrichtseinheiten und didaktische Konzeptionen:
Unterrichtsmaterialien in Form von "multimedialen Lernumgebung"
werden von mir im iii-twiskenstudio produziert und auf den üblichen
Markt von Unterrichtsmaterialien gebracht. Prototypisch: Capoeira für Kinder,
Schimmelpfengs Obertonschule,
Bayreuthers Pentatonikschule, Tarantella für die Schule.
Beispiel "Szenische Interpretation von Musik und Theater":
Im Laufe von 25 Jahren wurden etwa 40 Arbeiten geschrieben, in denen der Ablauf einer szenischen Interpretation im schulischen
und theaterpädagogischen Kontext beschrieben und oft ansatzweise (durch Schülerbefragungen, kleine Fragebogenaktionen etc.)
"evaluiert" wurde. 2016 wurden diese Arbeiten systematisiert und Ausschnitte aus ihnen in einem neuen Konvolut zusammen
gestellt (publiziert im Band 8 der Schriftenreihe für Szenische
Interpretation von Musik und Theater). Auf einer Arbeitstagung im November 2016 wurde dies Konvolut in einen methodisch
größeren Zusammehang gestellt und damit faktisch das Konzept des künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhabens
im aktuellen Methodenpluralismus "verortet". |
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